Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-107448/7/Br/Bk

Linz, 06.03.2001

VwSen-107448/7/Br/Bk Linz, am 6. März 2001

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn E gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung, vom 9. Jänner 2001, VerkR96-3779-2000-BB/KB, nach der am 6. März 2001 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51e Abs.1 und 45 Abs.1 Z1 VStG.

II. Es entfällt die Leistung jeglicher Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

I. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wider den Berufungswerber eine Geldstrafe von 1.500 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit 36 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, wobei ihm folgendes Tatverhalten zur Last gelegt wurde:

"Sie haben am 19.05.2000 um 17.09 Uhr den PKW, Kennzeichen , in L, auf der F - Krzg. mit der J stadteinwärts gelenkt und dabei als durch das Vorschriftszeichen "\/orrang geben" / "Halt" Wartepflichtiger durch Einfahren auf den rechten Fahrstreifen der F den auf der F auf dem rechten Fahrstreifen in Richtung H fahrenden, vorrangberechtigten Lenker eines PKWs zum unvermittelten Bremsen des Fahrzeuges genötigt."

Dadurch habe er die Rechtsvorschrift nach § 19 Abs.7 iVm § 19 Abs.4 StVO 1960 verletzt.

1.1. Die Erstbehörde ging hinsichtlich des Schuldspruches im Ergebnis von einer Fahrgeschwindigkeit des Anzeigers im Zuge der Annäherung an die Kreuzung von 45 km/h aus. Aus dieser Fahrgeschwindigkeit sei der Anzeiger durch den Berufungswerber, als dieser von der J in die F einfuhr, zu einem unvermittelten Abbremsen seines Fahrzeuges veranlasst worden.

2. Gegen dieses Straferkenntnis hat der Berufungswerber rechtzeitig Berufung erhoben, worin er Nachfolgendes ausführt:

"In offener Frist erhebe ich gegen oben bezeichnetes Straferkenntnis Berufung, verweise auf meine bereits gemachten Angaben, und führe ergänzend dazu aus. Wenn der Anzeiger behauptet, daß er am Vorbeifahren an meinem PKW von mir behindert wurde, so ist dies schon deshalb eine falsche Anschuldigung, weil er die Möglichkeit gehabt hätte, links an meinem PKW vorbeizufahren, da sich außer dem PKW des Anzeigers kein anderes Fahrzeug in selber Richtung der Kreuzung H genähert hat, und dies vom Anzeiger auch nicht behauptet wurde. Die F ist im Bereich der Kreuzung mit der J breit genug, und ist dies daher ohne weiteres möglich. Wenn der Anzeiger außerdem behauptet daß ich mein Fahrzeug quer auf dem Fahrstreifen aufgestellt hätte, so bestätigt er damit genau, daß sich mein Fahrzeug längst nichtmehr im Kreuzungsbereich J befand, da die Fahrstreifeneinteilung auf der F in Richtung H erst ca.15-20 Mt. nach dem Kreuzungsbereich F beginnt. Der Anzeiger hat also Fahrstreifen gesehen, welche gar nicht vorhanden sind, was auch bei seiner Annäherungsgeschwindigkeit nicht verwunderlich ist. Ich verweise daher nochmals auf meinen letzten Satz meiner Rechfertigung vom 18.9.2000.

GR. P (mit e.h. Unterschrift)"

3. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Da mit der Berufung jedoch Tatsachenfragen bestritten wurden, schien es in Wahrung der nach Art. 6 EMRK intendierten Rechte geboten, eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Erstbehörde. Ferner durch Vernehmung des Berufungswerbers als Beschuldigten und des Anzeigers als Zeugen im Rahmen der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung. Beigeschafft wurde ein Luftbild aus dem System Doris und ein aktuelles Foto vom Kreuzungsbereich. Die Weg-Zeit-Berechnungen erfolgten mit dem Unfallrekonstruktionsprogramm "Analyzer Pro 4,0". Diese Beweismittel wurden im Rahmen der Berufungsverhandlung zur Erörterung gestellt.

4.1. Der unabhängige Verwaltungssenat geht von folgendem Sachverhalt aus:

4.1.1. Die F verläuft auf der Höhe J im Bereich vor der Kreuzung mit der R vier Fahrspuren. In Fahrtrichtung des Anzeigers befindet sich rechtsseitig auch noch eine sogenannte Busspur. Die Sichtweite auf den Bereich der Kreuzung mit der benachrangten J ist für einen auf dem rechten Fahrstreifen der F fahrenden Fahrzeuglenker mit 70 m bis 100 m anzunehmen. Vor der Kreuzung der J mit der F ist das Verkehrszeichen "Vorrang geben" (§ 52 lit.c Z23 StVO) angebracht.

Der Berufungswerber bog als Lenker eines Taxis von der J kommend in die F ein, um sich dort in die linke Fahrspur einzuordnen. Da auf dieser Spur mehrere Fahrzeuge von der Kreuzung mit der R zurückstauten, vermochte er sich vorerst nicht in diese Spur einzuordnen. Aus diesem Grund musste er sein Fahrzeug etwa im Winkel von 45 Grad vor diesem Fahrstreifen zum Stillstand bringen. Dies führte zur teilweisen Blockierung der "Geradeausfahrspuren".

Dem sich mit seinem Fahrzeug auf der rechten Geradeausspur in Richtung R mit etwa 40 km/h annähernden Zeugen S wurde dadurch seine Fahrspur zumindest teilweise blockiert. Auf Grund der Breite der Fahrbahn wäre es durchaus denkbar, dass - wie auch der Berufungswerber darlegte - rechts und nicht wie vom Berufungswerber in der Berufung wohl irrtümlich ausgeführt links am Berufungswerber vorbeigefahren werden hätte können. Dies kann aber in diesem Zusammenhang dahingestellt sein.

Das Fahrzeug des Berufungswerbers wurde dem Zeugen etwa auf Höhe des Einganges des Bezirksgerichtes (= 50 m vor der J) ansichtig. Bereits vor diesem "Hindernis" wurde dem Zeugen das Rotlicht der Verkehrslichtsignalanlage an der Rudolfkreuzung evident, sodass er sein Fahrzeug zur Kreuzung hinrollen lassen wollte. Durch den Berufungswerber wurde er in diesem beabsichtigten Fahrablauf jedoch behindert. Verärgert über diesen Umstand fuhr der Zeuge sodann auf das seine Fahrlinie verstellende Fahrzeug zu und bremste dann knapp vor diesem Fahrzeug eher brüsk ab. Im Zuge der nächsten Ampelphase gelangten schließlich beide Fahrzeuglenker an der Kreuzung mit der R zum Stillstand, wobei es zu den für viele Autofahrer als "sozialtypisch" zu bezeichnenden Gesten mit den Armen und Händen, aber auch zu einem verbalen Schlagabtausch und sich in gegenseitige Schmähungen über die Kenntnisse der Verkehrsregeln ergehend kam. Verärgert darüber entschloss sich daraufhin der Zeuge S zur gegenständlichen Anzeige.

4.2. Der Anzeiger legte anlässlich seiner zeugenschaftlichen Befragung dar, dass er sich bereits im Sichtbereich des Lenkers des Angezeigtenfahrzeuges befunden haben müsste, als dieser trotz seiner Annäherung in die Kreuzung einfuhr und ihn folglich an der Weiterfahrt blockierte. Die Bremsung beschrieb der Berufungswerber als stark, wobei er jedoch die Möglichkeit, bereits früher zu bremsen, einräumte. Das Ansichtigwerden des Zweitbeteiligten bezeichnete er als 'etwa auf der Höhe des Einganges vom Bezirksgericht'. Da diese Distanz im Bereich von 50 m festzustellen war, kann dies durchaus mit der Verantwortung des Berufungswerbers in Einklang gebracht werden, dass er den herannahenden Zeugen zum Zeitpunkt des "Einfahrentschlusses" in die Kreuzung noch nicht in einer Vorrangbeziehung wahrgenommen hatte. Wenn der Zeuge - was im Ergebnis auch vom Berufungswerber bestätigt wird - in dieser Phase mit etwa 40 km/h unterwegs war, bedurfte es, ausgehend von einer unverzüglich eingeleiteten "Bremsung", lediglich einer Verzögerungskomponente im Bereich von 1,42 m/sek2. Eine solche Verzögerung wäre im Fahrzeug noch kaum spürbar und liegt nur etwas höher als die durch die bloße Motorbremswirkung mit etwa 0,55 bis 0,6m/sek2, bedingte Verzögerung. Es kann daher letztlich dahingestellt bleiben, ob der Berufungswerber die Annäherung des Anzeigers zum Zeitpunkt seines Entschlusses zum Einfahren in die Kreuzung schon gesehen hat oder zumindest sehen hätte müssen. Angesichts der hier als erwiesen anzusehenden Fakten (Distanz und Annäherungsgeschwindigkeit) kann objektiv besehen von einer im Verhalten des Berufungswerbers gründenden Notwendigkeit zu einem jähen und plötzlichen Abbremsen nicht die Rede sein. Zu bedenken ist hierbei insbesondere, dass der Zeuge - wie er sinngemäß selbst angab - offenbar zur Unterstreichung seiner Rechtsposition gepaart mit Unmut oder um den seine Fahrspur zum Teil blockierenden Lenker auch nur zu schrecken, auf dessen Fahrzeug vorerst noch ungebremst zufuhr, was letztlich dann eine jähe bzw. starke Bremsung erforderlich machte. Das Motiv für diese Anzeige lag, wie ebenfalls vom durchaus aufrichtig wirkenden Zeugen ausgeführt wurde, im Ärger über die nachfolgende Interaktion mit dem anderen Fahrzeuglenker. Dieses mag wiederum in einer beidseitig geringen Frustrationstoleranz und/oder gekränkter Eitelkeit seine Ursache gehabt haben.

5. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Eine Vorrangverletzung liegt dann vor, wenn ein "wartepflichtiges Fahrzeug" durch "Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen" die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) zum unvermittelten Abbremsen oder Auslenken ihrer Fahrzeuge nötigt (§ 19 Abs.7 StVO 1960). Ist vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" oder "Halt" angebracht, so haben sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang (§ 19 Abs.4 StVO 1960). Der Vorrang erstreckt sich auf den gesamten Kreuzungsbereich, dessen Umfang sich nach den Abgrenzungen der Überschneidungen der Straßen bestimmt (OGH 20.10.1981, ZVR 1982/234).

Von einer Verletzung des Vorranges kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn durch einen Fahrvorgang selbst ein unvermitteltes Bremsen oder Ablenken erforderlich wird. Keine Vorrangverletzung besteht in einer Konstellation, wenn sich ein vorher Wartepflichtiger durch eine spezifische Verkehrssituation, die ihn an der Weiterfahrt hindert, (noch) in der Fahrbahn befindet (vgl. Messiner, StVO-Kommentar, 9. Auflage, S 405 ff, FN 13).

Der Inhalt der Wartepflicht zerfällt in eine zeitliche Komponente, die besagt, wenn der Wartepflichtige weiterfahren darf, und in eine örtliche Komponente, die besagt, bis zu welcher Stelle der Wartepflichtige vorfahren darf, um den Zeitpunkt des endgültigen Weiterfahrens abzuwarten. Hiefür müssen die örtlichen Verhältnisse, insbesondere die Sichtverhältnisse, in Betracht gezogen werden (OGH 7.4.1976, 8 Ob 36/76). Der Lenker eines benachrangten Fahrzeuges hat sich Gewissheit zu verschaffen, dass er kein anderes (bevorrangtes) Fahrzeug in seiner Bewegung behindert (vgl. Dietrich-Stolzlechner, StVO 1960 1960, Anm. 74 zu § 19 StVO 1960). Eine geringfügige Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit ist aber dem vorrangberechtigten Kraftfahrer zuzumuten, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen § 19 Abs.7 StVO vorliegt (ebenfalls Messiner StVO-Kommentar, 9. Auflage, 437, E211 mit Judikaturhinweisen).

Hier führte das Verhalten des Berufungswerbers offenkundig zu keinem unvermittelten Abbremsen. Eine Zuwiderhandlung gegen den Schutzzweck der Bestimmung des § 19 Abs.4 u. 7 StVO 1960 konnte somit nicht erblickt werden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Dr. B l e i e r

Beschlagwortung:

Bremsverzögerung, Sichtweite, Behinderung v. Weiterfahrt

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