Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230403/2/Wei/Bk

Linz, 05.02.1996

VwSen-230403/2/Wei/Bk Linz, am 5. Februar 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des E L, Kraftfahrer, O, vertreten durch S Rechtsanwälte in F, vom 11. Jänner 1995 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 30. Dezember 1994, Zl. Pol 96-35-1994/SR/HM, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 5 Abs 1 O.ö.

Polizeistrafgesetz - O.ö. PolStG (LGBl Nr. 36/1979 idF LGBl Nr. 94/1985) zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991, § 66 Abs 1 VStG 1991.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis vom 30.

Dezember 1994 hat die belangte Behörde den Berufungswerber (Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie haben am 05.02.1994 gegen 16.30 Uhr in A, in der Nähe des Hauses H als Halter eines Tieres dieses in einer Weise beaufsichtigt oder verwahrt, daß durch das Tier Personen über das zumutbare Ausmaß hinaus belästigt wurden, indem Sie es einem Hund ermöglichten, ein auf dem Privatgrundstück der Familie H, H, befindliches zahmes Reh zu reißen." Durch die so formulierte Tatanlastung erachtete die Strafbehörde den § 10 Abs 2 iVm § 5 Abs 1 O.ö. PolStG als verletzte Rechtsvorschriften und verhängte gemäß § 10 Abs 2 leg.cit. eine Geldstrafe von S 1.000,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden.

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das dem Bw zu Handen seiner Rechtsvertreter am 2. Jänner 1995 zugestellt worden ist, richtet sich die am 12. Jänner 1995 bei der belangten Strafbehörde rechtzeitig eingebrachte Berufung vom 11.

Jänner 1995, mit der primär die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens beantragt wird.

2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende wesentliche S a c h v e r h a l t :

2.1. In ihrer schriftlichen Anzeige vom 7. Februar 1994 (vgl Blg 1 zur Gendarmerieanzeige vom 16.02.1994) gegen Frau M P schildern die Ehegatten E und E H, H, daß am 5. Februar 1994 um 16.30 Uhr auf der privaten Zufahrt (laut Gendarmerieanzeige: Zufahrtsweg "A) zu ihrem Haus ein zahmes zehn Monate altes Reh von Hunden der Frau P gerissen worden wäre. Sie waren nicht Augenzeugen, konnten aber unmittelbar nach dem Angriff an der südöstlichen Ecke ihres Grundstückes entlang der Privatzufahrt sehen, daß das schwer verletzte Reh (Durchbiß am Brustkorb mit seitlich entweichender Atemluft) im anschließenden Feld torkelte. Etwa 5 m daneben wären ein Rottweiler und ein großer weißer Hund ohne Leine und Beißkorb auf Platz gelegen. Es wären noch 3 bis 4 Personen und 5 bis 6 Hunde am Ort des Geschehens gewesen.

Frau P, die Hundebesitzerin, wäre nicht anwesend gewesen.

Die näheren Umstände, wie es zu dem Angriff auf das Reh kommen konnte, wurden nicht geklärt. In weiterer Folge benachrichtigte E H den Jäger und Nachbarn K S, der das Reh um 17.15 Uhr tötete und mitnahm, um es der Jagdgemeinschaft zu übergeben. Das bei der Mahd im Mai 1993 verletzte Reh war mit Genehmigung der Jagdgemeinschaft von den Ehegatten H gepflegt und aufgezogen worden. Es war nicht in einem Gatter untergebracht, sondern konnte sich frei bewegen.

Die Gendarmerie G erfuhr von Frau M P, Friseurmeisterin, P, A, daß sie fünf Hunde besaß, wobei einige Hunde am 5.

Februar 1994 um 16.30 Uhr vom Bw beaufsichtigt worden waren.

Beim Gemeindeamt A waren ein Dackel, zwei irische Wolfshunde, ein Hirtenhund und ein Bastard gemeldet. Der Bw hatte beim Gemeindeamt einen Rottweiler gemeldet.

Der Bw gab gegenüber der Gendarmerie an, daß er mit zwei irischen Wolfshunden der M P und seinen zwei Rottweiler Hunden spazieren gegangen wäre. Die Hunde wären frei gelaufen. Plötzlich hätte einer der Wolfshunde das Reh gebissen.

2.2. Nach Strafverfügung und Einspruch vernahm die belangte Behörde im ordentlichen Ermittlungsverfahren lediglich die Ehegatten H als Zeugen, die allerdings keine weiteren Aufklärungen zum Vorfall geben konnten. Der Bw hat durch seine Rechtsvertreter Stellungnahmen vom 16. Juni 1994 und vom 28. Juli 1994 erstattet, in denen jeweils die Haltereigenschaft und ein Fehlverhalten mit näherer Begründung bestritten wurden. Zum Beweis für die Haltereigenschaft der M P wurde deren zeugenschaftliche Einvernahme beantragt. Es gäbe für den Bereich keine Verordnung der Gemeinde, daß Hunde an der Leine zu führen wären oder einen Beißkorb tragen müßten. Es wäre überhaupt nicht damit zu rechnen gewesen, daß plötzlich Wildtiere auftauchen. Das Verhalten des irischen Wolfshundes wäre daher auch nicht vorherzusehen gewesen.

Die belangte Strafbehörde erließ in weiterer Folge, ohne weitere Ermittlungen durchzuführen, das angefochtene Straferkenntnis vom 30. Dezember 1994. In diesem vertrat sie die Ansicht, daß Halter auch derjenige sei, der bei Abwesenheit des Besitzers die Aufsicht über das Tier hat.

Der Bw hätte als momentaner Betreuer dafür zu sorgen gehabt, daß niemand über das zumutbare Maß hinaus belästigt wird.

2.3. Die Berufung macht Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend. Unter dem ersten Berufungsgrund wird gerügt, daß die Strafbehörde den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat, um zu einem Schuldspruch gelangen zu dürfen. Bei Einvernahme der M P hätte die belangte Behörde erkennen müssen, daß nicht der Bw, sondern M verantwortlicher Halter des Tieres war.

Im Rahmen der Rechtswidrigkeit des Inhaltes wird die Rechtsansicht der belangten Strafbehörde bekämpft, wonach der Bw als Halter angesehen wurde, weil er die Aufsicht über die Hunde beim Spaziergang mit ihnen hatte. Die belangte Behörde habe selbst bloß davon gesprochen, daß der Bw "als momentaner Betreuer" verpflichtet gewesen wäre, Gefährdungen zu verhindern. Damit habe sie den Begriff "Halter " falsch ausgelegt.

Im übrigen habe der Bw für eine ordnungsgemäße Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt. Es gäbe keine Verordnung der Gemeinde, daß Hunde im gegenständlichen Bereich an der Leine zu führen wären oder einen Maulkorb zu tragen hätten.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat nach Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten festgestellt, daß das angefochtene Straferkenntnis bereits nach der Aktenlage aufzuheben war.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß § 5 Abs 1 Satz 1 O.ö. PolStG begeht u.a. eine Verwaltungsübertretung, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, wer als Halter eines Tieres dieses in einer Weise beaufsichtigt oder verwahrt, daß durch das Tier dritte Personen gefährdet oder über das zumutbare Maß hinaus belästigt werden.

§ 5 Abs 1 Satz 2 O.ö. PolStG stellt klar, daß als unzumutbare Belästigung Dritter insbesondere auch die Verunreinigung von Kinderspielplätzen und ähnlichen Flächen gilt.

Der Begriff des Tierhalters wird im O.ö. PolStG nicht definiert, sondern offenbar mit Rücksicht auf dessen Relevanz in anderen Rechtsgebieten als bekannt vorausgesetzt. Nach der hM zu § 1320 ABGB ist als Tierhalter anzusehen, wer die tatsächliche Herrschaft über das Verhalten des Tieres ausübt und über Verwahrung und Beaufsichtigung zu entscheiden hat (vgl die Judikaturnachweise bei Dittrich/Tades, MGA ABGB, 33. A, E 18 ff zu § 1320; Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I, 10. A [1995], 492 mwN in FN 314). Auf eine bestimmte rechtliche Beziehung zum Tier (wie etwa das Eigentumsrecht) kommt es dabei nicht an. Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, sind die faktischen Verhältnisse der Herrschaft über das Tier (Aufzucht, Ernährung, Unterbringung, Pflege und gesundheitliche Betreuung) für den Begriff des Haltens entscheidend (vgl VwGH 30.7.1992, 88/17/0149).

4.2. Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, daß Frau M P Eigentümerin und Besitzerin der beiden irischen Wolfshunde war, von denen einer - offengeblieben ist mangels Individualisierung durch die belangte Behörde welcher von beiden - anläßlich des Spazierganges am 5. Februar 1994 gegen 16.30 Uhr das Reh anfiel und schwer verletzte. Sie ist auch bei der Gemeinde A als Hundehalterin gemeldet.

Die Berufung rügt mit Recht, daß die belangte Strafbehörde den Begriff des Halters falsch ausgelegt hat. Die bloß vorübergehende Aufsicht über fremde Hunde anläßlich eines Spazierganges erfüllt noch nicht den Begriff des Halters, weil nach wie vor der Besitzer und nicht der momentane Betreuer über die Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres zu entscheiden hat. Ein bloß faktisches Naheverhältnis macht niemanden zum Halter. Die einvernehmliche Übertragung der oben beschriebenen Haltereigenschaft hat nicht stattgefunden. Vielmehr hatte Frau M nach wie vor allein über die Verwendung ihrer irischen Wolfshunde zu bestimmen.

Sie traf grundsätzlich die Verantwortung für das Verhalten der Tiere. Als Halterin hätte sie allenfalls auch gemäß § 5 Abs 1 O.ö. PolStG wegen mangelhafter Vorkehrungen zur Verantwortung gezogen werden können, wenn ihr eine besondere Gefährlichkeit oder Bösartigkeit des Hundes oder eine Unerfahrenheit oder Untüchtigkeit der bestellten Aufsichtsperson hätte bekannt sein müssen (vgl etwa VwGH 21.9.1988, 88/01/0191). Diese Umstände hat die belangte Strafbehörde nicht einmal ansatzweise erhoben.

4.3. Im übrigen ist der gegenständliche Vorfall auch nicht hinreichend aufgeklärt worden. Man wird aber annehmen können, daß den irischen Wolfshund der natürliche Jagdtrieb und möglicherweise auch die Gesellschaft weiterer Hunde dazu verleitet haben, das junge Reh anzufallen. Das Ausleben dieses triebhaften Verhaltens wurde sicherlich dadurch begünstigt, daß sich die Hunde nicht an der Leine befanden und sich das zahme Reh ohne den Schutz eines Gatters frei bewegen konnte. Ein triebhaftes Jagdverhalten des Hundes ist aber als normal anzusehen und beweist noch keine Bösartigkeit oder Unberechenbarkeit. Unmittelbar nach dem plötzlichen Angriff hielten die Hunde selbst nach den Angaben der Ehegatten H in einer Entfernung von 5 m vom verletzten Reh Platz. Dies beweist, daß sie sich nicht völlig unberechenbar, sondern durchaus diszipliniert verhalten haben. Daß mit dem Herumlaufen eines zahmen Rehs hätte gerechnet werden müssen, kann aus dem Akteninhalt nicht abgeleitet werden.

Dem Bw ist auch einzuräumen, daß angesichts des Spaziergangs in einer ländlichen Gegend und unter der Annahme, daß die Hunde auf Anweisungen reagieren, nicht von vornherein die Pflicht bestand, die Hunde zur Sicherheit an die Leine zu nehmen. Umso weniger mußte ihnen ein Maulkorb angelegt werden. Nur bei vorhersehbaren Gefahren oder in unübersichtlichen Situationen oder im Falle einer Verordnung der Gemeinde gemäß § 5 Abs 3 O.ö. PolStG besteht Leinenund/oder Maulkorbpflicht. Der erkennende Verwaltungssenat kann aus dem - allerdings unzureichend erhobenen aktenkundigen Sachverhalt kein Fehlverhalten des Bw ableiten. Da keine Erfolgshaftung besteht, könnte der Bw mangels ausreichender Anhaltspunkte für ein konkretes Fehlverhalten in der Beaufsichtigung auch dann nicht bestraft werden, wenn er tatsächlich der Halter des irischen Wolfshundes wäre.

5. Im Ergebnis war das Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren mangels Tatbestandsmäßigkeit bereits gemäß dem § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen. Gemäß § 66 Abs 1 VStG entfällt bei diesem Ergebnis die Verpflichtung des Bw zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. W e i ß

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