Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230442/3/Kei/Shn

Linz, 29.12.1995

VwSen-230442/3/Kei/Shn Linz, am 29. Dezember 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Michael Keinberger über die Berufung der Fatima Z, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Grieskirchen vom 4. Mai 1995, Zl.

Sich96-33-1995-Se, wegen einer Übertretung des Fremdengesetzes (FrG), zu Recht:

I. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

II: Der Antrag, daß der Berufungswerberin ein Vertretungskostenersatz zuerkannt wird, wird wegen Fehlens einer diesbezüglichen Rechtsgrundlage abgewiesen.

III. Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde sowie zu den Kosten des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) iVm § 24 Verwaltungsstrafgesetz (VStG), § 45 Abs.1, § 51 und § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis wurde über die Berufungswerberin eine Geldstrafe von 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 33 Stunden) verhängt, weil sie "bosnische Staatsangehörige" gewesen sei und "sich von 9.6.1994 bis 25.4.1995 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten" habe, "da ihr (nach dreimonatigem sichtvermerksfreiem Aufenthalt ab 8.3.1994 auf Grund des bilateralen Abkommens mit Jugoslawien, welches vorerst pragmatisch auch für Bosnien-Herzegowina angewandt wurde) weder ein für ihren weiteren Aufenthalt ab 9.6.1994 erforderlicher Sichtvermerk von einer Sicherheitsbehörde noch eine nach einem sechsmonatigen Aufenthalt ab 9.9.1994 erforderliche Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes erteilt" worden sei, "obwohl eine Verwaltungsübertretung" begangen habe, "wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet" aufgehalten habe. Dadurch habe die Berufungswerberin eine Übertretung des § 82 Abs.1 Z4 iVm § 15 Abs.1 Z2 FrG begangen, weshalb sie gemäß § 82 Abs.1 Z4 FrG zu bestrafen gewesen sei.

2. Gegen dieses der Berufungswerberin am 8. Mai 1995 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die Berufung, die am 18. Mai 1995 der Post zur Beförderung übergeben und fristgerecht erhoben wurde.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat in die Verwaltungsakte der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen, Zl.Sich96-33-1995 vom 26. Mai 1995 und Zl.Sich96-33-1995-W vom 1. September 1995 Einsicht genommen.

4. In der Sache selbst hat der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

4.1. Gemäß § 15 Abs.1 FrG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn (Z2) ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde.

Gemäß § 82 Abs.1 Z4 FrG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 10.000 S zu bestrafen, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15). Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes.

Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

4.2. Es war nicht geboten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der objektive Tatbestand des § 82 Abs.1 Z4 iVm § 15 Abs.1 Z2 FrG verwirklicht wurde, weil jedenfalls spruchgemäß zu entscheiden war.

Die Berufungswerberin war eine Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und Fremde iSd § 1 Abs.1 FrG. Das Ausmaß und auch die Intensität der Auseinandersetzungen, die zur verfahrensgegenständlichen Zeit in diesem Teil Europas stattfanden, waren Gegenstand ausführlicher medialer Berichterstattung und sohin allgemein bekannt. Die subjektive Befürchtung der Berufungswerberin, die in dem glaubhaften Vorbringen im Einspruch vom 6. April 1995 und in der Rechtfertigung vom 25. April 1995 zum Ausdruck kommt, dahingehend, daß sie in die Auseinandersetzungen hineingezogen wird, begründet eine Notstandssituation.

Festgehalten wird auch, daß ein Irrtum der Berufungswerberin im Hinblick auf die Einschätzung der Situation (Tatsachenirrtum) in analoger Anwendung des § 10 Abs.2 zweiter Satz StGB entschuldbar wäre. Das Verhalten der Berufungswerberin war somit nicht schuldhaft. Was die Beurteilung dieser Frage im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens betrifft, so wird hingewiesen, daß diese unabhängig von einer Beurteilung durch andere Behörden in administrativen Verfahren erfolgt und auch auf die Erkenntnisse des O.ö. Verwaltungssenates, VwSen-230413/2/Br/Bk vom 20. Februar 1995 und VwSen-230397/5/Kei/Km vom 8. März 1995.

4.3. Aus den angeführten Gründen war der vorliegenden Berufung gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs.4 AVG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs.1 VStG einzustellen.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Berufungswerberin gemäß § 66 Abs.1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem O.ö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Beilage Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Keinberger

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