Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280024/5/Ga/La

Linz, 28.02.1997

VwSen-280024/5/Ga/La              Linz, am 28. Februar 1997 DVR.0690392                                                          

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Mag. Gallnbrunner über die Berufung des R E, vertreten durch Dres. A H, H M, P W, W M und W G, Rechtsanwälte in L, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 3. Jänner 1995, Zl. Ge96-51-1994-Gru, wegen Übertretung der Bauarbeitenschutzverordnung (BArbSchV), zu Recht erkannt:

Der Berufung wird stattgegeben; das angefochtene Strafer kenntnis wird aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage: AVG: § 66 Abs.4. VStG: § 24; § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1, § 51c, § 51e Abs.1; § 65 und § 66 Abs.1.

Entscheidungsgründe:

1.1.  Vorliegend wurde der Berufungswerber einer Über tretung des § 45 Abs.4 BArbSchV schuldig gesprochen und über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) kostenpflichtig verhängt. Als Tat (§ 44a Z1 VStG) wurde ihm vorgeworfen, er habe in seiner Eigenschaft als handelsrechtlicher Geschäfts führer der E Gesellschaft m.b.H., Sitz in L, zu verantworten, daß am 14. April 1994 auf einer örtlich näher bezeichneten Baustelle in der Gemeinde Ansfelden ein Arbeitnehmer dieser Gesellschaft in einer Höhe von ca 7 m bis 8 m mit der Montage eines Blechdaches (Vordach für Balkonüberdachung im Ausmaß von ca 1 m x 2,2 m) beschäftigt worden sei, wobei der Arbeitnehmer in keiner Weise gesichert bzw angeseilt gewesen sei; auch sei ein sicherer Standplatz in einem Dachbodenraum nicht vorhanden gewesen.

1.2.  Begründend verweist die belangte Behörde auf die Anzeige des Arbeitsinspektorats, auf deren Grundlage der Tatvorwurf gegen den Berufungswerber erhoben worden sei; dieser habe sich jedoch verschwiegen, sodaß im Ergebnis von der Tatbestandsmäßigkeit des Vorfalls und der Verantwort lichkeit des Beschuldigten auszugehen gewesen sei.

2.  Mit der dagegen erhobenen Berufung bekämpft der Beschuldigte Tat und Schuld und beantragt Aufhebung und Verfahrenseinstellung. Die belangte Behörde hat zugleich den bezughabenden Verfahrensakt vorgelegt und keine Gegenäußerung und keine Anträge erstattet. Schon aus der Aktenlage war ersichtlich, daß das ange fochtene Straferkenntnis aufzuheben ist.

Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

3.1.  Der Berufungswerber wendet in objektiver Hinsicht ua ein, die ihm als verletzt vorgeworfene Vorschrift des § 45 Abs.4 BArbSchV gehe von Arbeiten am Dachsaum aus und auch davon, daß bei den von dieser Vorschrift erfaßten Arbeiten das Anseilen zwingend vorgeschrieben sei. Weder aber habe bei dem inkriminierten Vorfall ein Dachsaum vorgelegen noch sei ein Anseilen praktisch möglich gewesen, dies schon nicht wegen der Gestaltung des Hauses (die Seillänge hätte so sein müssen, daßádas Seil praktisch nicht hätte wirksam werden können). Im Ergebnis führt dieses Vorbringen die Berufung zum Erfolg.

3.2.  Nach Einsicht in den Strafakt einerseits und aus dem vom Arbeitsinspektorat dem O.ö. Verwaltungssenat im Zuge des Parteiengehörs vorgelegten Tatfoto andererseits ergibt sich folgender maßgebender Sachverhalt: Das vom Kontrollorgan am Tattag über den Vorfall angefertigte Foto läßt den zur Anzeige gebrachten Lebenssachverhalt auf der Baustelle deutlich und vollständig erkennen. So ist ersichtlich, daßájedenfalls ein Arbeiter auf einem über einer Balkonnische (im zweiten Stock) auskragenden Vorsprung in hockender Stellung beschäftigt ist. Daß es sich dabei um einen Arbeitnehmer der involvierten Gesellschaft handelt, ist unstrittig. Das eigentliche Dach (des insgesamt dreigeschoßigen Hauses) mit einer mindestens 1 m breiter Traufe samt Dachrinne befindet sich etwa 3 bis 3,5 m über diesem Vorsprung. Ca 1,5 m oberhalb des nämlichen Mauervorsprungs befinden sich zu beiden Seiten Fenster. Weder ist der Arbeiter angeseilt noch sind Sicherungseinrichtungen (wie Arbeitsgerüst, Schutz gerüst, Fangnetz) angebracht. Zweifellos jedoch wäre - entgegen der Behauptung des Berufungswerbers - das Anseilen des Arbeiters über die erwähnten Fenster möglich gewesen.

3.3. Gemäß § 45 Abs.4 BArbSchV haben sich bei Spengler arbeiten am Dachsaum oder an Hängerinnen die damit Be schäftigten, sofern die Arbeiten nicht von einem sicheren Standplatz im Dachbodenraum ausgeführt werden, sicher anzuseilen. ... Gemäß § 7 Abs.1 BArbSchV sind an allen Arbeitsstellen, an denen Absturzgefahr besteht, Einrichtungen anzubringen, die geeignet sind, ein Abstürzen der Dienstnehmer zu verhindern, oder ein Weiterfallen hintanzuhalten, wie Arbeitsgerüste, Brustwehren, Schutzgerüste oder Fangnetze. Bei Arbeiten an besonders gefährlichen Stellen müssen die Dienstnehmer über dies angeseilt sein. Gemäß § 7 Abs.2 BArbSchV kann die Anbringung der im Abs.1 vorgesehenen Schutzeinrichtungen unterbleiben, wenn der hie für erforderliche Aufwand unverhältnismäßig hoch ist gegen über dem Aufwand für die durchzuführende Arbeit. In solchen Fällen sind die Dienstnehmer durch Anseilen gegen Absturz zu sichern.

Aus der Gegenüberstellung dieser Vorschriften wird deutlich, daß § 45 Abs.4 BArbSchV auf den Sachverhalt des Schuldspruchs nicht anwendbar ist. Diese Schutzvorschrift bestimmt - in systematischer Einordnung in den 6. Abschnitt der BArbSchV ("Arbeiten auf Dächern") - , daß Arbeiten am Rande eines Daches ("am Dachsaum") wegen der damit ver bundenen, regelmäßig erhöhten Gefahr nur angeseilt vorge nommen werden dürfen, es sei denn - und dies ist einzige Ausnahme und tatbildliche Voraussetzung zugleich -, daß ein sicherer Standplatz im Dachbodenraum, von dem aus die Arbeiten ausgeführt werden können, vorhanden ist. Damit aber geht diese Vorschrift von (Haus-)Dächern im herkömmlichen Sprachverständnis, jedenfalls von Dächern über einem Dachbodenraum aus. Nur für die Arbeiten am Saum solcher Dächer trifft diese Schutzvorschrift eine Aussage. Ver gleichsweise kleine Vorsprünge wie hier, mögen sie auch als "Vordach" oder "Balkonüberdachung" bezeichnet sein, sind nicht erfaßt, weil für sie der "sichere Standplatz im Dach bodenraum" als normative Anknüpfung nicht in Frage kommt.

3.4. Hingegen wäre der angezeigte Vorfall möglicherweise dem Tatbild der "gefährlichen Arbeitsstelle" iSd § 7 BArbSchV unterstellbar gewesen. Ein Verstoß gegen die Schutznorm des § 7 Abs.1 (allenfalls unter Berücksichtigung der Ausnahme vorschrift des § 7 Abs.2 leg.cit.) hängt jedoch von anderen Sachverhalten ab, als ein Verstoß gegen § 45 Abs.4 BArbSchV. So ist bei gegebener Absturzgefahr (was hier freilich nicht bestreitbar sein konnte), die Personensicherung durch Anseilen nicht primär und zwingend, sondern - nach je unterschiedlichen Gegebenheiten auf der Baustelle - entweder zusätzlich zur techn. Sicherung (Abs.1) oder ausnahmsweise subsidiär (Abs.2) angeordnet. Im Lichte des Bestimmtheits gebotes (§ 44a Z1 VStG) allerdings nicht vereinbar mit den Tatmerkmalen eines Verstoßes gegen die Sicherungspflicht nach § 7 Abs.1 oder nach Abs.2 leg.cit. wäre dann ein die Ver letzung beider Schutznormen alternativ anlastender Tatvorwurf (wie es der angefochtene Schuldspruch unternimmt; arg. "bzw.").

In diesem Fall kann also der O.ö. Verwaltungssenat als Berufungsbehörde die Tat des Schuldspruchs - unter Aufrecht erhaltung der Bestrafung - nicht einfach bloß rechtlich neu qualifizieren, dh dem anderen Tatbild eines Verstoßes gegen § 7 Abs.1 oder (subsidiär) Abs.2 BArbSchV unterstellen, weil die für einen solchen Schritt erforderliche Identität der Tat (als "Sache" iSd § 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG) nicht vor liegt. Nach den Umständen dieses Falles würde daher eine Tatauswechslung den Berufungswerber erstmalig (nach dies bezüglich längst eingetretener Verfolgungsverjährung) mit einem anderen Schuldspruch konfrontieren und ihn in seinem konkreten Verteidigungsrecht verletzen.

4. Hat aber aus allen diesen Gründen das angefochtene Straferkenntnis die Tatbestandsmäßigkeit zu Unrecht angenommen, war daher wie im Spruch zu entscheiden und gleichzeitig gemäß § 45 Abs.1 Z2 erster Fall VStG das Verfahren einzustellen.

5.  Mit dieser Entscheidung entfällt die Kostenpflicht des Berufungswerbers (die Aufhebung bewirkt zugleich auch den Wegfall des strafbehördlichen Kostenausspruchs; Beiträge zu den Kosten des Berufungsverfahrens waren nicht aufzuerlegen).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichts hof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Mag. Gallnbrunner

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