Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104245/22/Br

Linz, 09.04.1997

VwSen-104245/22/Br Linz, am 9. April 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 2. Kammer (Vorsitzender: Dr. Langeder, Beisitzer: Dr. Guschlbauer und Berichter: Dr. Bleier) über die Berufung der Frau H, K, vertreten durch die RAe Dr. E, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau, Zl. VerkR96-17691-1996-Shw, vom 27. November 1996, nach den am 10. Februar und am 9. April 1997 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlungen und der Verkündung am 9. April 1997, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 iVm § 3 Abs.1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr.

471/1995 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z2 iVm § 3 Abs.1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl.

Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 VStG; II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskosten.

Rechtsgrundlage:

§ 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Über die Berufungswerberin wurde mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau vom 27. November 1996, Zl. VerkR96-17691-1996-Shw, wegen der Übertretungen nach § 99 Abs.1 lit.b iVm § 5 Abs.2 StVO 1960 eine Geldstrafe von 11.000 S und im Nichteinbringungsfall zehn Tage Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil sie sich am 18. Mai 1996 um 17.30 Uhr, im Krankenhaus B, gegenüber einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht, einem Gendarmeriebeamten, geweigert habe, ihre Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl sie verdächtig war in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand - um 16.00 Uhr dieses Tages - ein Kraftfahrzeug gelenkt zu haben.

1.1. Die Erstbehörde führte in der Begründung ihres Straferkenntnisses im wesentlichen aus, daß es der Berufungswerberin nicht gelungen sei glaubhaft zu machen, daß sie sich zum Vorfallszeitpunkt in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden psychischen Ausnahmezustand befunden hätte. Die Erstbehörde stützte ihre Entscheidung auf ihre freie Beweiswürdigung und vermeinte im Ergebnis, daß in den beigeschafften Gutachten, welche zu einem späteren Zeitpunkt erstellt wurden, eben nicht festgestellt werden habe können, ob ein derartiger Zustand zum Tatzeitpunkt tatsächlich vorgelegen hat.

Weiter wies die Erstbehörde in ihrer Begründung darauf hin (Seite 5, dritter Absatz), daß es nicht Aufgabe der Behörde sei, die Zurechnungsfähigkeit zu beweisen, sondern vielmehr der Beschuldigte seine Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des § 3 VStG glaubhaft zu machen habe, um straffrei zu bleiben.

2. In der durch ihren ag. Rechtsvertreter fristgerecht erhobenen Berufung führt die Berufungswerberin entscheidungswesentlich sinngemäß aus, daß, laut dem im Akt erliegenden Gutachten vom 4. Oktober 1996, es bei sehr starken Erregungszuständen vorkommen könne, daß die betreffende Person nicht mehr in der Lage ist, das Unerlaubte einer Handlung einzusehen bzw. danach zu handeln.

Ferner sei es auch aktenkundig, daß bei der Berufungswerberin auch vom Arzt des KH B ein "sehr starker Erregungszustand" festgestellt worden sei.

In weiterer Folge rügt die Berufungswerberin umfassend die von der Erstbehörde vorgenommene Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung zur Frage der (angenommenen) Zurechnungsfähigkeit.

Abschließend beantragt sie die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung und die nachfolgende Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der Erstbehörde vorgelegten Verwaltungsakt. Ferner durch die Vernehmung der Zeugen Dr. B, Dr. H, Insp. P und RevInsp. H anläßlich der am 10. Februar 1997 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung durch Würdigung des (im Rahmen der weiteren öffentlichen mündlichen Verhandlung am 9. April 1997) vom als Sachverständigen beigezogenen Facharztes für das Fachgebiet der Psychiatrie, Dr. Edwin S, erstellten Gutachtens. An beiden Verhandlungen nahm auch eine Vertreterin der Erstbehörde teil.

4. Da eine 10.000,- S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch die nach der Geschäftsverteilung zuständige 2. Kammer zur Entscheidung berufen. Da im Ergebnis auch Sachverhaltsfragen strittig waren, insbesondere aber daraus ableitbare medizinisch sachverständige Schlußfolgerungen zu klären waren, waren die öffentlichen mündlichen Verhandlungen erforderlich (§ 51e Abs.1 VStG).

5. Die Berufungswerberin verschuldete am späteren Nachmittag des 18. Mai 1996 als Lenkerin eines Pkw einen Verkehrsunfall, wobei sie ein entgegenkommendes Fahrzeug streifte. Dabei wurden mehrere Personen verletzt. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde die Berufungswerberin vom Bezirksgericht M, GZ U188/96, am 12.11.1996 nach § 88 Abs.1 StGB (ohne Qualifizierung nach § 81 StGB) rechtskräftig verurteilt. Der Strafantrag vom 23.7.1996 erstreckte sich auch auf § 88 Abs.1 u.3 (81 Z2) StGB.

5.1. Unbestritten ist, daß bei der Berufungswerberin an sich Symptome festgestellt werden konnten, welche den Schluß auf eine Beeinträchtigung durch Alkohol zuließen. Aus der Anzeige, welche mehr als zwei Monate nach dem Unfall (am 9.

Juli 1996) verfaßt wurde, ist ferner auch von einem hysterischen Benehmen der Berufungswerberin im Rettungsfahrzeug und einer lallenden Aussprache die Rede. Der Erregungszustand war so ausgeprägt, daß ihr vom Notarzt 20 mg Valium verabreicht werden mußten. Die Berufungswerberin hatte ein Körpergewicht von 48 kg. Unstrittig ist ferner, daß die Berufungswerberin anläßlich des Unfalles Verletzungen am Kopf und an einem Auge erlitt. Die Aufforderung zum Alkotest wurde laut Anzeige um 17.30 Uhr ausgesprochen, wobei "diese bzw. die Blutabnahme" mit den Worten "ich verweigere ihn, ich verweigere alles" verweigert wurde. Diese Aufforderung wurde seitens des Insp. P ausgesprochen, als sich die Berufungswerberin gerade im Schockraum befand und unter Gewaltanwendung dem Röntgen zugeführt wurde. Sie mußte von mehreren Personen fest- bzw.

auf der Liege niedergehalten werden, um so ein Kopfröntgen überhaupt möglich zu machen. Die Aufforderung zur Blutabnahme wurde zusätzlich noch ausgesprochen, weil der Meldungsleger vorerst seine Zweifel hatte, ob eine Beatmung des Alkomaten überhaupt möglich wäre. Diese Aufforderung wurde um 17.32 Uhr ausgesprochen, wobei auch diese mit den Worten "diese verweigere ich auch" verweigert wurde (Aktenvermerk vom 18. Mai 1996). Laut Aufnahmearzt (Zeuge Dr. B) wäre die Vornahme eines Alkotestes - eine Beatmung des Alkomaten - möglich gewesen, sodaß die Aufforderung zur Blutabnahme für RevInsp. P daraufhin gegenstandslos war.

Der Alkomat wurde im Gendarmeriefahrzeug mitgeführt. Der Atemlufttest hätte im Krankenhaus geleistet werden können.

5.1.1. Aus dem nervenfachärztlichen Attest der Frau Dr. P vom 24. Mai 1996 ergibt sich, daß es möglicherweise zu einem psychischen Ausnahmezustand, welcher amnesiert wurde, gekommen sei. Dieses Gutachten wurde jedoch nur auf Grund persönlicher Schilderungen der Berufungswerberin erstellt.

Sie befand sich zum Untersuchungszeitpunkt noch in einem labilen Zustand, welcher vor allem aus den zahlreichen die Berufungswerberin sehr belastenden Ereignisse der letzten zwei Jahre zu erklären gewesen sei.

Die Amtsärztin zieht aus diesem Attest im Ergebnis die fachliche Schlußfolgerung, daß auch die Fachärztin im nachhinein keine Aussage über den Zustand der Berufungswerberin zum Tatzeitpunkt treffen habe können.

Abschließend folgerte die Amtsärztin, daß es bei "sehr starken Erregungszuständen vorkommen kann, daß die betreffenden Personen nicht mehr in der Lage sind, das Unerlaubte einer Handlung einzusehen bzw. danach zu handeln". Ob nun tatsächlich ein solcher Zustand vorgelegen hat, überläßt die Amtsärztin der Beweiswürdigung der Behörde.

Der in der Notaufnahme mit der Berufungswerberin über einen längeren Zeitraum befaßt gewesene Dr. B vermeinte, daß die Berufungswerberin durchaus ansprechbar gewesen sei, wobei sie auch den Alkotest (Beatmung des Alkomaten) durchführen hätte können. Er beurteilte den Zustand der Berufungswerberin dahingehend, daß seiner Ansicht nach eine Zurechnungsunfähigkeit nicht vorgelegen hätte.

Die Amtsärztin bleibt im Gegensatz dazu auch anläßlich der Berufungsverhandlung bei ihrer Einschätzung, daß damals ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Zustand - zumindest zum Zeitpunkt der Verweigerung der Atemluftuntersuchung nicht ausschließbar sei. Über konkretes Befragen ob der Schluß zulässig sein könnte, daß jemand der sich weigert, sich einen Fremdkörper aus dem Auge entfernen zu lassen nicht zurechnungsfähig sein könnte, gab die Amtsärztin Dr. H an, das könne man daraus schon schließen. Auch die Zeugen RevInsp. H und RevInsp. P bestätigten das ungewöhnlich hysterische Verhalten, wobei RevInsp. H meinte, daß ihm derartiges in seiner Gendarmerielaufbahn noch nie untergekommen wäre. Zweifelsfrei ist hier von einem sehr starken Erregungszustand der Berufungswerberin auszugehen.

Die Schilderungen des Zustandsbildes der Berufungswerberin werden im wesentlichen übereinstimmend dargestellt, sodaß daran nicht zu zweifeln ist.

5.1.2. Im Zusammenhang mit der Frage der Zurechnungs fähigkeit kommt den im Ergebnis gegensätzlichen Beurteilungen durch die Amtsärztin und des Spitalsarztes Dr. B entscheidende Bedeutung zu.

Zwecks Klärung dieser Widersprüchlichkeit im Hinblick auf das Zustandsbild der Berufungswerberin und der Frage ihrer Schuldfähigkeit im Hinblick auf die Tatbildverwirklichung brachten die fachlichen Ausführungen des Dr. S eine klare Entscheidungsgrundlage. Dieser führte ua aus:

"Zum Zeitpunkt der Aufforderung der Frau H zur Blutalkoholbestimmung bzw zum Alkotest war die betroffene Frau R mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit diskretions- und dispositionsunfähig und somit nicht zurechnungsfähig. Ich möchte dies nun folgend ausführen:

Pkt.1: Frau R zeigte zum fraglichen Zeitpunkt ein sehr auffälliges Verhalten mit ungezielter Aggression und unflätiger Ausdrucksweise. Dieses Verhalten war ihrem sonstigen bisherigen Lebensverlauf diamentral entgegengesetzt. Insbesondere ist hiezu zu betonen, daß dieses Verhalten nicht abgestimmt war auf die Personen die ihr gegenübertraten. Sie hat also nicht unterschieden, ob es sich dabei um einen Arzt handelte, der quasi helfende und heilende Instanz der Gesellschaft verkörpert. Außerdem hat sie nicht unterschieden, ob es sich hiebei um einen Gendarmeriebeamten handelte, welcher die kontrollierende und auch strafende Instanz der Gesellschaft verkörpert. Weiters hat sie nicht unterschieden bezüglich der Handlungsabsicht der mit ihr in Kontakt tretenden Personen. Sie hat also nicht unterschieden, ob jemand ihr helfen wollte, sie untersuchen wollte und heilend eingreifen wollte bzw ob jemand eine rechtlich relevante Handlung setzen wollte. Hier ist insbesondere anzuführen, daß eine Verletzung des Augapfels in der durchschnittlichen Gesellschaft als sehr dramatisch erlebt wird. Es heißt ja nicht umsonst auch sprichwörtlich, man hütet etwas wie seinen Augapfel, sodaß gerade die Verweigerung einer Versorgung der Augenverletzung hier als sehr bezeichnend angeführt werden muß.

Pkt. 2: Dieser Erregungszustand war ausgesprochen hochgradig und ungezielt.

Pkt. 3: Die Frau R hat zum Zeitpunkt des Unfalles offensichtlich aufgrund dieses Erregungszustandes 20 mg Diacepan ein Bencodiacepinpräparat, das bei Erregungszuständen üblich ist, verabreicht bekommen. Hier ist zu erwähnen, daß offensichtlich in dieser Situation am Unfallort die Erregung der Frau R im Vordergrund stand und weniger eine Alkoholintoxikation, da ein Zustand einer Alkoholintoxikation Diacepan contraindiziert wäre, was ein Notarzt aufgrund seiner Ausbildung wissen müßte.

Pkt. 4: Trotz der Gabe von 20 mg Diacepan, eine Dosis die jeden normalen Menschen in einen Tiefschlaf versetzen würde, ist es bei der Frau R zu einer unzureichenden Sedierung gekommen. Dies könnte zwei Erklärungsmöglichkeiten zugrunde haben:

a) Entweder es läge eine chronische Gewöhnung an dieses Präparat vor im Rahmen einer hochgradigen Bencodiacepinabhängigkeit mit ständigen Konsum von hohen Dosen dieses Präparates.

b) Der Erregungszustand war derart hochgradig, daß die Sedierung durch dieses Medikament unzureichend war, was im Rahmen psychiatrischer hochgradiger Erregungszustände auch beobachtet wird.

Pkt. 5: Trotzdem hat natürlich dieses Präparat Diacepan (Valium) in der Dosierung von 20 mg natürlich einen sedierenden Effekt, der im geschilderten Fall offensichtlich unzureichend war. Allerdings muß davon ausgegangen werden, daß bei einer normalen Person alleine durch diese Dosierung und dieses Medikament unmittelbar darauf ein Zustand von Unzurechnungsfähigkeit resultieren würde, da hier eine Normalperson in Tiefschlaf versetzt würde. Auch später angeführte und im Protokoll ersichtbare Wirkungen wie Gangstörung und Sprechstörung (verwaschene Sprache oder lallende Sprache) wird durch dieses Medikament ausgelöst.

Pkt. 6: Es wird von einer Gedächtnisstörung berichtet, die sich auf den Zustand unmittelbar nach dem Unfall bis einige Stunden später erstreckt." 5.2. Diese Ausführungen, welche im Rahmen der Berufungsverhandlung auch einer weiteren Erörterung unterzogen wurden, sind schlüssig und wurden in einer Form vorgetragen, welche auf fundierte Fachkompetenz schließen läßt. Das Gutachten wurde auch mit wissenschaftlichen Hinweisen unterlegt. Überdies legte der Sachverständige dar, daß sich durch einzelne situationsbezogene Verhaltensweisen am Gesamtbild nichts ändert. An der fachlichen Schlußfolgerung einer "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tatzeitpunkt fehlenden Diskretions- und Dispositionsfähigkeit und damit Zurechnungsunfähigkeit" vermag der unabhängige Verwaltungssenat nichts auszusetzen.

6. Insbesondere angesichts des Gutachtens von Dr. S muß zumindest im Zweifel vom Nichtvorliegen der Zurechnungsfähigkeit ausgegangen werden.

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. L a n g e d e r

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