Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-161435/8/Ki/Da

Linz, 20.09.2006

 

 

 

                                                          E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Alfred Kisch über die Berufung des H S, B, H, nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt Mag. K H, W, M, vom 19.5.2006 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 4.5.2006, VerkR96-11119-2004-Ga, wegen Übertretungen der StVO 1960 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 14.9.2006 durch Verkündung zu Recht erkannt:

 

 

I.     Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

 

II.    Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrenskosten­beiträge.

 

Rechtsgrundlage:

zu  I: § 66 Abs.4 AVG iVm  §§ 24, 45 Abs.1 Z1 und Z3 und 51 VStG

zu II: § 66 Abs.1 VStG

 

 

                                                     Entscheidungsgründe:

 

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat unter AZ VerkR96-11119-2004 Ga vom 4.5.2006 nachstehendes Straferkenntnis erlassen:

 

"Sie haben am 08.11.2004 gegen 07.15 Uhr den PKW mit dem Kennzeichen X im Gemeindegebiet von Buchkirchen auf der Buchkirchner Bezirksstraße gelenkt, wobei Sie

1.      von Strkm. 2.800 bis 3.200 ohne zwingenden Grund Ihr Fahrzeug so langsam gelenkt haben, dass der übrige Verkehr behindert worden ist;

2.      unmittelbar nach Strkm. 3,520 vor einer unübersichtlichen Stelle ein mehrspuriges Fahrzeug überholten;

3.      unmittelbar nach Strkm. 3,520 verbotenerweise überholten, obwohl Sie nicht einwandfrei erkennen konnten, dass Sie sich nach dem Überholvorgang ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer wieder in den Verkehr einordnen werden können und

4.      Ihr Fahrzeug jäh und überraschend für den Lenker des nachfolgenden Fahrzeuges abgebremst haben, obwohl es die Verkehrssicherheit nicht erfordert hätte, wodurch andere Straßenbenützer gefährdet wurden.

 

Sie haben dadurch folgende Verwaltungsübertretung begangen:

1.      § 20 Abs.1 StVO iVm. § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960

2.      § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 iVm. § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960

3.      § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 iVm. § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960

4.      § 21 Abs. 1 StVO iVm. § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960

 

Daher wird über Sie folgende Strafe verhängt:

70 Euro gem. §§ 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960; Ersatzfreiheitsstraße: 1 Tag

100 Euro gem. §§ 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960; Ersatzfreiheitsstraße: 1 Tag

100 Euro gem. §§ 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960; Ersatzfreiheitsstraße: 1 Tag

70 Euro gem. §§ 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960; Ersatzfreiheitsstraße: 1 Tag

Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe tritt an deren Stelle die Ersatzfreiheitsstrafe.

 

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) zu entrichten:

34 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe

 

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher 374,00 Euro."

 

I.2. Der Rechtsmittelwerber erhob gegen dieses Straferkenntnis mit Schriftsatz vom 19.5.2006 Berufung mit dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens zu erkennen. Im Wesentlichen werden die zur Last gelegten Sachverhalte bestritten.

 

I.3. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat die Berufung samt Verfahrensakt dem Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt und damit dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser hatte, da weder primäre Freiheitsstrafen noch eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

I.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt sowie Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung verbunden mit einem Augenschein an Ort und Stelle am 14.9.2006. An dieser Verhandlung nahm der Berufungswerber im Beisein seines Rechtsvertreters teil, die Vertreterin der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat sich entschuldigt. Als Zeuge wurde der Meldungsleger RI. A Ü einvernommen, als technischer Amtssachverständiger fungierte Ing. R H von der Abteilung Verkehrstechnik des Amtes der Oö. Landesregierung.

 

I.5. Dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren liegt eine Anzeige des vormaligen Gendarmeriepostens Krenglbach vom 9.11.2004 zu Grunde in welcher vom Meldungsleger jener Sachverhalt dargestellt wurde, welcher im angefochtenen Straferkenntnis der Bestrafung zu Grunde gelegt wurde.

 

Im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung bestritt der Rechtsmittelwerber nicht, dass er zur vorgeworfenen Tatzeit am vorgeworfenen Tatort ein Überholmanöver durchgeführt hat und er auch nach diesem Überholmanöver die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges wieder reduziert hat, dies in Anbetracht dessen, dass er sich einer gefährlichen Kreuzung genähert hat.

 

Der Meldungsleger gab bei seiner zeugenschaftlichen Befragung zu Protokoll, dass er damals von seiner Dienststelle weg auf der Haidinger Straße in Richtung Marchtrenk gefahren sei, dies mit seinem Privat-PKW. Als er den Vorfall wahrgenommen habe, habe er sich mit seinem Fahrzeug als drittes hinter dem Fahrzeug des Herrn S bzw. des hinter ihm fahrenden VW-Pritschenwagens befunden. Im Waldstück bei ca. km 2,6 sei er auf den VW-Pritschenwagen aufgefahren, weiter vorne vor dem Pritschenwagen sei Herr S gefahren. Sie seien dann mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 – 50 km/h nachgefahren. Nachdem der Pritschenwagenfahrer nach dem Wald freie Sicht gehabt hätte, habe dieser das andere Fahrzeug überholt und sein Fahrzeug auf ca. 80 – 90 km/h beschleunigt. In der Folge habe Herr S sein Fahrzeug beschleunigt und nachdem der Pritschenwagen den Überholvorgang abgeschlossen habe, seinerseits den Überholvorgang begonnen bzw. durchgeführt. Schätzungsweise habe Herr S um überholen zu können auf ca. 90 – 100 km/h beschleunigen müssen, dann sei Herr S wieder vorne gewesen und habe die Geschwindigkeit wieder verringert. Bezüglich Ausmaß der Geschwindigkeit konnte er keine nähere Angabe mehr machen und verwies auf die Anzeige. Er selbst habe subjektiv keine akute gefährliche Situation empfunden.

 

Der bei der Verhandlung anwesende technische Amtssachverständige erstellte unter Berücksichtigung der gegebenen Örtlichkeiten bezüglich des verfahrensgegenständlichen Überholvorganges nachstehendes Gutachten:

 

"Vom gegenständlichen Überholvorgang ist aus technischer Sicht Folgendes festzustellen. Für die Überholbeschleunigung des überholenden Daimler Benz Pkw Alter ca. 10 Jahre wurde eine Überholbeschleunigung auf Grund der Angaben von Hr. S (Getriebeöl kalt, Fahrzeug kalt) von 1,2 m/s² zu Grunde gelegt. Im Bezug auf die Ausgangskonfiguration beim Überholvorgang wurde angenommen, dass der zu überholende VW Pritschenwagen mit ca. 70 km/h unterwegs ist und das Fahrzeug von Hr. S aus einer von einer Ausgangsgeschwindigkeit von 90 km/h beschleunigend überholt hat. Der Abstand des Mercedes zum Pritschenwagen vor Beginn des Überholmanövers wurde mit etwa 8 m angenommen. Die Fahrzeuglänge des Pritschenwagens mit ca. 5 m, die des Mercedes mit ca. 4 m und vor dem Wiedereinscheren wurde ein Sicherheitsabstand von 5 m berücksichtigt. Unter dieser Konfiguration ergibt sich für den Mercedes von Hr. S ein Überholweg von rund 143 m bei einer Überholzeit von rund 5 sec. (rechnerisch 5,19 sec.). Unterstellt man in dieser Zeit einen Gegenverkehr der mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h unterwegs ist (es liegt keine Geschwindigkeitsbeschränkung vor) so ergibt sich in diesen rechnerisch 5,19 sec. bei rund 27 m (rund 100 km/h) eine gefahrene Wegstrecke des Gegenverkehrs von rund 144 m. In Summe ergibt sich eine erforderliche Überholsichtweite von ca. (143 + 144 =) 287 m. Beim Lokalaugenschein wurde eine Sichtweite in der Größenordnung von 285 bis 290 m festgestellt. Die angegebene Sichtweite wurde beim heutigen Lokalaugenschein festgestellt. Nachdem der gegenständliche Überholvorgang im Nov. 2004 erfolgte, ergibt sich aufgrund des Bewuchses eine etwas weitere, größere Sichtweite als heute beim Lokalaugenschein festgestellt wurde."

 

I.6. In freier Beweiswürdigung erachtet der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich, dass das Gutachten des verkehrstechnischen Amtssachverständigen schlüssig ist und nicht im Widerspruch zu den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen steht. Der Sachverständige hat die Überholsichtstrecke, welche sich aus den im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen des Meldungslegers einerseits und des Berufungswerbers andererseits ergeben, im Beisein des Verhandlungsleiters vermessen und eine ebenfalls im Wesentlichen übereinstimmende Angabe der Fahrgeschwindigkeit des überholten bzw. überholenden Fahrzeuges der Berechnung der Überholsichtweite zu Grunde gelegt. Daraus ergibt sich, dass, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass jahreszeitbedingt eine etwas weitere Sichtweite als im Rahmen der mündlichen Verhandlung gegeben war, die Überholsicht gerade noch ausgereicht hat, um einen ordnungsgemäßen Überholvorgang durchzuführen.

 

Was das anschließende Reduzieren der Geschwindigkeit anbelangt, so konnte der Meldungsleger letztlich im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung keine exakten Angaben mehr machen, er hat im Wesentlichen auf seine Angaben in der Anzeige verwiesen. Letztlich hat er auch erklärt, dass aus seiner Sicht eine akute Gefährdung nicht gegeben war. Nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" kann demnach nicht mit einer zur Bestrafung führenden Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Berufungswerber das unter Punkt 4 des Straferkenntnisses bezeichnete inkriminierende Verhalten tatsächlich gesetzt hat.

 

I.7. Rechtlich hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich wie folgt erwogen:

 

I.7.1. Gemäß § 20 Abs.1 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges u.a. auch nicht ohne zwingenden Grund so langsam fahren, dass er den übrigen Verkehr behindert.

 

Ein wesentliches Tatbestandsmerkmal dieser Verwaltungsübertretung bildet der Umstand, dass der Lenker des Fahrzeuges ohne zwingenden Grund nicht so langsam fahren darf, dass er den übrigen Verkehr behindert.

 

Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat dem Berufungswerber jedoch vorgeworfen, dass er sein Fahrzeug langsam gelenkt habe und es entspricht dieser Vorwurf nicht dem Erfordernis einer entsprechenden Tatkonkretisierung. Auch wurde innerhalb der gesetzlichen Verfolgungsverjährungsfrist (§ 31 VStG) kein entsprechender Tatvorwurf erhoben. Der Spruch des Straferkenntnisses (Faktum 1) ist somit mit einem qualifizierten Mangel behaftet, welcher seitens der Berufungsbehörde wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr korrigiert werden kann.

 

Gemäß § 45 Abs.1 Z3 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen.

 

Wegen eingetretener Verfolgungsverjährung war daher in diesem Punkt der Berufung Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

I.7.2. Gemäß § 16 Abs.2 lit.b StVO 1960 darf außer in den im Abs.1 angeführten Fällen der Lenker eines Fahrzeuges bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z.B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen, nicht überholen.

 

Gemäß § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, dass er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern.

 

Gemäß § 21 Abs.1 StVO 1960 darf der Lenker das Fahrzeug nicht jäh und für den Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges überraschend abbremsen, wenn andere Straßenbenützer dadurch gefährdet oder behindert werden, es sei denn, dass es die Verkehrssicherheit erfordert.

 

Das durchgeführte Ermittlungsverfahren hat hinsichtlich der Fakten 2 und 3 des angefochtenen Straferkenntnisses ergeben, dass der Berufungswerber zwar einen Überholvorgang durchgeführt hat, dieser Vorgang jedoch nicht den Bestimmungen des § 16 StVO 1960 zuwider gelaufen ist. Zum Zeitpunkt des Überholens war eine entsprechende Überholsichtweite gerade noch gegeben und es war daher der Überholvorgang zulässig.

 

Bezüglich Faktum 4 bleibt zwar unbestritten, dass der Rechtsmittelwerber nach Beendigung des Überholvorganges seine Geschwindigkeit wiederum reduziert hat, es kann jedoch nicht erwiesen werden, dass diese Reduzierung der Geschwindigkeit jäh und überraschend für den Lenker des nachfolgenden Fahrzeuges erfolgt ist.

 

Gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet.

 

Im gegenständlichen Falle bildet das durchgeführte Überholmanöver (Fakten 2 und 3) keine Verwaltungsübertretung und es kann überdies die unter Faktum 4 bezeichnete Verwaltungsübertretung, jedenfalls nach dem Grundsatz in dubio pro reo, nicht als erwiesen angesehen werden. Es war daher auch in diesen Punkten der Berufung Folgen zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

II. Der Kostenausspruch stützt sich auf die im Spruch angeführte gesetzliche Bestimmung.

 

 

                                                        Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

                                                                    Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

                                                                Mag. K i s c h

                                                                                                                                                      :

 

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