Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230569/3/Br

Linz, 19.02.1997

VwSen-230569/3/Br Linz, am 19. Februar 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn F, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz - Land, vom 17. Jänner 1997, Zl.

Sich96-783-1995-Fu, zu Recht:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl.Nr.

471/1995 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG.

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskosten.

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat mit oben bezeichnetem Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 81 Abs.1 Sicherheitspolizeigesetz (im folgenden kurz SPG) eine Geldstrafe von 700 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 78 Stunden verhängt, weil er am 26.12.1995 um ca. 22.45 Uhr bis ca. 23.20 Uhr in L im Lokal "B" am H mit O eine wörtliche und tätliche Auseinandersetzung geführt sowie in weiterer Folge nach der im Wachzimmer H durchgeführten Amtshandlung im Mittelgang des H abermals mit O eine lautstarke wörtliche Auseinandersetzung ausgetragen habe, in deren Verlauf Johann H eingeschritten sei und versucht habe, die Beiden zu trennen. Dabei habe er diesem einen Schlag mit dem Fuß gegen die Genitalien versetzt. Dadurch habe er durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört, da nach der ersten Auseinandersetzung vor dem Lokal und nach der zweiten Auseinandersetzung im Bereich des Mittelganges mehrere Reisende versammelt waren und diese sein Verhalten mißbilligt hätten.

1.1. Die Erstbehörde hielt die Verwaltungsübertretung aus der Anzeige des Polizeiwachzimmers H und des Ergebnisses des von ihr ergänzend durch die Vernehmung mehrerer Zeugen geführten Ermittlungsverfahrens als erwiesen.

Die Erstbehörde legte an sich umfassend die Chronologie des Geschehensablaufes dar und hält auch fest, daß der Berufungswerber bei dieser Auseinandersetzung mit dem Zweitbeteiligten an der Lippe verletzt wurde.

2. Der Berufungswerber brachte in seiner bei der Erstbehörde offenbar fristgerecht mit Schreiben vom 28. Jänner 1997 erhobenen Berufung vor, daß er wegen desselben Deliktes vom Gericht freigesprochen worden wäre.

Mit diesem Vorbringen ist der Berufungswerber im Recht! Dem Straferkenntnis ist ein Nachweis über die Zustellung wohl nicht angeschlossen, jedoch ergibt sich schon aus dem Datum der Erlassung des Straferkenntnisses (17. Jänner 1997), daß die bereits am 28. Jänner 1997 bei der Erstbehörde eingelangte Berufung fristgerecht erhoben wurde.

3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Entscheidung vorgelegt.

Somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen.

Gemäß § 51e Abs.1 VStG war die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht erforderlich.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis geführt durch Einsichtnahme in den von der Erstbehörde vorgelegten Verwaltungsakt und ergänzend durch Erhebung des Sachausganges beim Bezirksgericht Linz im Hinblick der im Zusammenhang mit diesem Vorfall auch gegen den Berufungswerber erstatteten strafrechtlichen Anzeige.

5. Aufgrund des Ergebnisses der Aktenlage und des ergänzenden Erhebungsergebnisses steht fest, daß der Berufungswerber im Zusammenhang mit dem ihm auch hier zur Last gelegten Verhalten, bei welchem er offenbar selbst verletzt worden ist, vom Bezirksgericht Linz am 31. Mai 1996, GZ , vom Verdacht der Körperverletzung und der Verleumdung (§ 83 Abs.1 u. 297 Abs.1 1. Satz StGB) gemäß § 259 Abs.3 StPO freigesprochen worden ist, während der Zweitbeteiligte wegen § 83 Abs.1 StGB rechtskräftig verurteilt wurde.

Mit der Frage der Subsidiarität hat sich die Erstbehörde nicht auseinandergesetzt.

6. Rechtlich ist wie folgt zu erwägen :

6.1. Gemäß § 81 Abs. 1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung, "wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört; er ist mit einer Geldstrafe bis zu 3.000 S zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden." 6.1.1. Nach § 85 SPG liegt jedoch eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat nach den § 81 bis § 84 (auch) den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

6.2. Der § 85 SPG schränkt somit die Reichweite der Tatbestände der § 81 bis § 84 SPG in Abkehrung von der Gesetzeslage vor dem SPG ein (vgl. etwa VfSlg. 3597/1959).

Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet; die Tatbestandsumschreibungen der §§ 81ff SPG sind also um das Tatbestandsmerkmal "soweit die Tat nicht gerichtlich strafbar ist" erweitert zu lesen.

So ist etwa nunmehr ein Täter - im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage - der an einem öffentlichen Ort einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt hat, nur mehr vom Gericht (Körperverletzung; §§ 83ff StGB) und nicht mehr zugleich auch zusätzlich (noch) von einer Verwaltungsbehörde (Ordnungsstörung; § 81 SPG) zu bestrafen.

Dabei ist gleichgültig, ob der Täter tatsächlich von einem Gericht etwa auch tatsächlich bestraft wird (vgl. VwSlg.

2079A/1951 und 3640A/1955). Ausschlaggebend ist allein, ob eine Handlung (Unterlassung) den "äußeren" Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt. Auch wenn die gerichtliche Bestrafung mangels Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit oder etwa auch nur wegen Arbeitsüberlastung der Gerichte entfällt, liegt gleichwohl keine Verwaltungsübertretung vor.

Die Verwaltungsbehörden haben die Frage, ob eine Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt, im Grundsatz eigenständig als Vorfrage im Sinne von § 38 AVG zu beurteilen; dabei sind die besonderen Regelungen des § 30 Abs.2 und 3 VStG zu beachten.

Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen bildet, und ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

Hat die Behörde allenfalls schon vor dieser Entscheidung ein Straferkenntnis gefällt, so darf es vorläufig nicht vollzogen werden. Ergibt sich später, daß das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen, so hat die Behörde erster Instanz, wenn aber in der Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren was hier eben zu geschehen hat - einzustellen.

Die Behörde ist an eine "verurteilende Entscheidung" des Strafgerichtes, nicht aber durch dessen Einstellungsbeschluß gebunden" (VwSlg. 2079A/1951); im Fall der Einstellung - das gleiche muß auch für den Freispruch gelten - "hat die Verwaltungsstrafbehörde die Frage, ob die von ihr dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat einen gerichtlich zu ahndenden Tatbestand bildet, selbst zu beurteilen" (VwSlg.

4169 A; 10276 A).

Diese Tat war hier vom äußeren Tatbild (Körperverletzung) als in die Zuständigkeit des Gerichtes fallend zu erachten.

Dies liegt insbesondere (hier) darin begründet, daß auch das Verhalten des Berufungswerbers vom Gericht untersucht wurde, wobei er jedoch als nicht schuldig erachtet wurde. Daher ist ihm auch das zum gerichtlich strafbare Verhalten "begleitende" Tatbild nicht zuzurechnen.

Die Behörde hat sich Kenntnis von der gerichtlichen Entscheidung amtswegig zu verschaffen; eine Mitteilungspflicht der Gerichte ist nicht vorgesehen. Dies wurde hier von der Erstbehörde verabsäumt und hatte daher von der Berufungsbehörde ergänzend zu geschehen (vgl. anders etwa Art. IX Abs. 5 EGVG).

Durch eine allfällige Aussetzung des Verfahrens würde der Lauf der Frist für die Strafbarkeitsverjährung weder gehemmt noch unterbrochen (§ 31 Abs. 3, letzter Satz VStG; Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II, 274).

Der Ausschluß verwaltungsbehördlicher Strafbarkeit tritt nur ein, wenn - so wie hier - ein und dieselbe Tat auch den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet; werden in einem Geschehensablauf zwei "Taten" hintereinander gesetzt, kann das eine Mal der Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung, das andere Mal eine Verwaltungsübertretung gegeben sein.

Ausschlaggebend ist lediglich, wie oben bereits dargelegt, ob die Tat den "äußeren" Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet. Ob die Tat letztlich von den Gerichten geahndet wird oder ob der Täter - aus welchen Gründen auch immer - straffrei bleibt, ist irrelevant.

6.3. Das bis zum SPG nicht selten bestehende Nebeneinander von gerichtlicher und verwaltungsbehördlicher Strafbarkeit war gerade im Bereich der Sicherheitspolizei und wegen deren Nähe zum gerichtlichen Strafrecht nicht mehr angebracht.

Dementsprechend war eine Subsidiarität vorzusehen (vgl. zur Subsidiarität, Sicherheitspolizeigesetz, Handbuch zum SPG, Hauer-Kepplinger, Prugg Verlag Eisenstadt 1993, 1. Juli 1993 Seite 404 und 405 und den Hinweis auf die RV).

6.3.1. Die Unzulässigkeit der Doppelbestrafung kommt in jüngster Zeit durch das Urteil des EGMR [(Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte), v. 23. 10. 1995 Zl.

33/1994/480/562] zum Ausdruck, wonach der Grundsatz "ne bis in idem" immer dann Relevanz hat, wenn "das gleiche Verhalten" [based on the same conduct, vgl. VfGH v.

5.12.1996, G 86/96] Gegenstand einer zweiten Bestrafung (Verwaltungsstrafe) ist. An dieser "Einheitlichkeit" im Ablauf des Lebenssachverhaltes (lautstarker Streit, welcher in einer Körperverletzung gipfelt) kann im hier gegenständlichen Verfahren, wobei dem Berufungswerber durch einen dritten vorsätzlich eine Verletzung zugefügt worden war, kein Zweifel bestehen, wobei ebenso unzweifelhaft ist, daß ein derartiges in einer Bahnhofshalle ausgetragenes Verhalten für die dort anwesenden Gäste (gleichzeitig und zusätzlich) auch störend empfunden würde. Der wesentliche Gesichtspunkt ("aspect") des Straftatbestandes wird in so gelagerten Fällen (bereits) vom Gerichtsverfahren erfaßt (vgl. abermals Gradinger gegen Österreich - wie oben zit.).

Wenngleich nicht übersehen wird, daß der Tatbestand der Ordnungsstörung auf einen weitergehenden Schutzzweck angelegt ist als er von Bestrafung des § 83 Abs.1 StGB hinsichtlich seines Tatunwertes abgedeckt sein mag. Im Lichte dieser Rechtsprechung sind daher Sachverhalte, welche eine strafrechtliche "Idealkonkurrenz" erkennen lassen, im Hinblick auf die Vermeidung einer Doppelbestrafung eng auszulegen.

6.4. Ein weiteres Eingehen auf die Begründung des Straferkenntnisses und die Berufungsausführungen (welches auf diesen Umstand nicht Bedacht nahm) war angesichts dieser Entscheidungsgründe nicht mehr erforderlich.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. B l e i e r

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