Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231200/8/BMa/Mu/Th

Linz, 31.10.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann über die Berufung des X, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwältin in X, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Linz vom 23. November 2010, S-18.962/10-2, wegen einer Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes zu Recht erkannt:

 

 

I.               Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II.           Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I.:   § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 111/2010 – AVG iVm. §§ 24, 45 Abs.1 Z2, 51c und 51e Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 135/2010 – VStG

Zu II.:  § 66 Abs.1 VStG


Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) wie folgt schuldig gesprochen und bestraft:

 

"Wie vom fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 24.03.2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 29.01.2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeit bis zu 6 Monaten sind.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31 Abs. 1 Z. 2-4 u. 6 FPG

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe in Euro              falls diese uneinbringlich ist,           Gemäß §

                                      Ersatzfreiheitsstrafe von

€ 1.000,--                        4 Tage                                        120 Abs. 1 FPG

 

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

100,-- Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich 15 € angerechnet);

 

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

1.100,-- Euro."

 

1.2. Begründend führt die belangte Behörde aus, die dem Bw angelastete Tat sei  durch die eigene dienstliche Wahrnehmung eines Beamten des fremdenpolizeilichen Referates der BPD Linz sowie auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens erwiesen. Nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens und der relevanten Rechtsgrundlagen wird im Wesentlichen weiters vorgebracht, dass sich nach den von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, die geeignet gewesen wären, den Aufenthalt des Bw in Österreich als legal anzusehen. Mit Bescheid vom 24. März 2010 sei wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Ausweisung gegen diesen angeordnet worden. Durch die dagegen eingebrachte Berufung habe er keinen Aufenthaltstitel erworben. Nur jene Beschäftigungsbewilligungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz  würden einen Aufenthaltstitel darstellen, die für einen Zeitraum von nicht länger als sechs Monaten ausgestellt worden seien.

 

Mildernd wurde bei der Strafbemessung die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit berücksichtigt.

Der Strafbemessung wurde zugrunde gelegt, dass der Bw weder ein relevantes Vermögen besitzt noch Sorgepflichten hat und ein Einkommen in Höhe von 800 Euro netto bezieht.

 

1.3. Gegen diesen seiner Rechtsvertreterin am 29. November 2010 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 13. Dezember 2010 – und damit rechtzeitig – per Telefax eingebrachte Berufung vom selben Tag.

 

Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses entspreche nicht dem Konkretisierungsgebot gemäß § 44a VStG. Weiters wurden Feststellungsmängel geltend gemacht und ausgeführt, der Bw habe am 5. Juli 2010 einen Antrag für die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 44 Abs.4 NAG beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz gestellt.

Im Hinblick auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes müsse dem Bw daher zugute gehalten werden, dass im gegenständlichen Fall eine entschuldigende Notstandssituation mit einem unauflöslichen Interessenskonflikt iSd. § 6 VStG vorliege bzw. sein Verschulden auf Grund dieser Umstände jedenfalls geringfügig sei.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass der Bw weiterhin befugt sei in Österreich einer Beschäftigung nachzugehen. Seine Beschäftigungsbewilligung wurde zwar nicht verlängert, allerdings habe seine Arbeitgeberin gegen den Bescheid des AMS Linz, Zl. 08114/AB-Nr. 3316603, Berufung erhoben, weshalb dieser Bescheid noch nicht rechtskräftig geworden sei.

 

Aus diesen Gründen wird die Aufhebung des gegenständlichen Straferkenntnisses bzw. in eventu die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Verfahrensergänzung bzw. in eventu gemäß § 20 VStG die Herabsetzung der Strafe bzw. nach § 21 VStG die Erteilung einer Ermahnung beantragt.

 

2.1. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 hat die belangte Behörde den Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt.

 

2.2. Da im angefochtenen Bescheid keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 51c VStG).

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Linz zu S-18.962/10-2 und den fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt zu 1-1066161/FRB/11 zur Einsichtnahme angefordert.

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ließ sich bereits aus den vorliegenden Verwaltungsakten und der Berufung klären, die Verfahrensparteien haben einen dementsprechenden Antrag nicht gestellt, somit konnte im Übrigen gemäß § 51e Abs.1 VStG von einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

2.3. Ergänzend zum vorgelegten Verwaltungsakt und fremdenbehördlichen Akt wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat beim Arbeitsmarktservice Linz eine Kopie des do. Bescheides vom 26. Mai 2010, Zl. 08114/ABB-Nr. 33166033, angefordert. Aus diesem am 26. Juli 2011 per E-Mail übermittelten Bescheid des Arbeitsmarktservices vom 26. Mai 2010 geht eindeutig hervor, dass die Beschäftigungsbewilligung des Bw nicht mehr verlängert wurde. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass diesbezüglich noch ein offenes Berufungsverfahren anhängig ist.

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

3.1. Folgender rechtlich relevante Sachverhalt wird festgestellt:

Der Bw ist türkischer Staatsangehöriger und am 2. Jänner 2002 illegal über Ungarn nach Österreich eingereist. Am selben Tag hat er einen Asylantrag gestellt. Dieses Verfahren wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom
19. November 2009, Zl. E2 235467-0/2008-9E, rechtskräftig am 24. November 2009, gemäß §§ 7 und 8 AsylG abgewiesen. Die Behandlung der dagegen durch den Bw eingebrachten höchstgerichtlichen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 28. Jänner 2010 (rechtskräftig am
12. 02. 2010) abgelehnt.

In weiterer Folge erstattete das fremdenpolizeiliche Referat der Bundespolizeidirektion Linz am 24. März 2010, Zl. 1066161/FRB, Anzeige gegen den Bw, weil er sich seit der rechtskräftigen negativen Abweisung des Asylantrages durch den Asylgerichtshof und schlussendlich nach der Ablehnung seiner Beschwerde beim Verfassungsgerichts­hof rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.

Gleichzeitig ordnete das fremdenpolizeiliche Referat der Bundespolizeidirektion Linz mit Bescheid vom 24. März 2010, Zl. 1066161/FRB, die Ausweisung des Bw aus dem Bundesgebiet an.

Dieses Ausweisungsverfahren wurde vom Bw bekämpft, worüber mittlerweile mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vom 19. Mai 2011, Zl. E1/10301/2010, entschieden und der Berufung des Bw gemäß § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 31, 53 und 66 FPG Folge gegeben wurde, weil er infolge seiner langen tatsächlichen Aufenthaltsdauer in Österreich bereits einen hohen Grad an sozialer Integration aufweist und nicht er das Asylverfahren behinderte, sondern  dessen unangemessene lange Dauer ausschließlich auf die Ineffizienz der staatlichen (Asyl-)Behörden zurückzuführen war, obwohl grundsätzlich der Tatbestand des § 53 FPG als erfüllt zu betrachten war, da tatsächlich seine höchstgerichtliche Beschwerde vom Verfassungsgericht abgelehnt wurde und ihm somit in Österreich endgültig kein Asyl gewährt wurde und der Bw sich grundsätzlich seit dem 12. Februar 2010 rechtswidrig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Eine Ausweisung des Bw nach Artikel 8 Abs.1 EMRK war daher nicht mehr zulässig, da ihm die Integration gut gelungen und dem massives Gewicht beizumessen war.

Am 5. Juli 2010 hat der BW eine Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 4 NAG beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz beantragt.

 

3.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus den vorliegenden Akten.

 

3.3. In rechtlicher Hinsicht hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.3.1. Nach § 120 Abs.1 in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung des BGBl. I Nr. 122/2009 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1.000 bis 5.000 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Wochen, zu bestrafen, wer als Fremder gemäß Z1 nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder gemäß Z2 sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 9. März 2011, G53/10-7, wurde die Wortfolge "von 1.000 Euro" in Absatz 1 und die Wendung "1," in Absatz 4 des § 120 Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 als verfassungswidrig aufgehoben. Es wurde weiters ausgesprochen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (Kdm BGBl I Nr. 17/2011 am 04.04.2011).

 

Der Spruch des Verfassungsgerichtshof ist seit 5. April 2011 für alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG wirksam geworden. Die spätere Neuregelung durch  BGBl I Nr. 38/2011 (Inkrafttreten am 1.7.2011) ist rückwirkend nicht anwendbar (vgl. § 1 VStG und Art 7 EMRK). Deshalb ist § 120 Abs. 1 FPG idFd Kdm BGBl I Nr. 17/2011 im vorliegenden Fall anzuwenden, was bedeutet, dass keine Mindeststrafe gilt.

 

Nach § 31 Abs.1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs.5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs.3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

Gemäß § 66 Abs.2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Wird die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt, so hat die Behörde gemäß §§ 44a NAG von Amts wegen einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs.2 oder 44 Abs.3 NAG zu erteilen.

 

Gemäß § 44b Abs.3 letzter Satz NAG gelten jedoch Verfahren gemäß §§ 43 Abs.2 und 44 Abs.3 NAG über die Fälle des § 25 Abs.2 NAG hinaus als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

 

3.3.2. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Bw nicht österreichischer Staatsbürger und somit Fremder im Sinne des FPG ist. Bis zur rechtskräftigen negativen Abweisung seines Asylantrages am 12. Februar 2010 war der Bw aufgrund des Asylgesetzes zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Seit dem 13. Februar 2010 erfüllte der Bw jedoch keinen der Tatbestände des § 31 Abs.1 FPG, weshalb seit 13. Februar 2010 somit der objektive Tatbestand des unrechtmäßigen Aufenthalts vorliegt.

 

3.3.3. Das FPG enthält keine Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb
§ 5 Abs.1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsams­delikt).

 

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismittel oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die „Glaubhaftmachung“ nicht.

 

Das Vorbringen der Berufung, dem Bw könne kein schuldhaftes Verhalten angelastet werden, weil er am 5. Juli 2010 gemäß § 44 Abs.4 NAG einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz gestellt habe und im Hinblick auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 2009, Zl. 2009/21/0149-5, und 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, eine entschuldigende Notstandssituation im Sinne des § 6 VStG vorliege, weshalb ihm – erschließbar – die Tat subjektiv nicht vorwerfbar sei, war erfolgreich.

Denn im Erkenntnis vom 7. Oktober 2010, Zl. B 950/10, hielt der Verfassungsgerichtshof fest, dass im Zusammenhang mit der Interessensabwägung nach Art 8 EMRK bei einer in hohem Maße stattgefundenen Integration (z.B. längerer Aufenthalt in Österreich und gute Deutschkenntnisse der Familie) eine "integrationsmindernde" Wertung des Umstandes, dass der Aufenthalt nur auf Grund eines letztlich unberechtigten Asylantrages rechtmäßig war, nicht generell zulässig sei. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Integration der Beschwerdeführer während ihrer jeweils einzigen Asylverfahren erfolgte, die sieben Jahre lang ohne rechtskräftige Entscheidung gedauert hätten. Der Staat müsse Voraussetzungen schaffen, dass bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung nicht sieben Jahre verstreichen, wenn keine außergewöhnlich komplexen Rechtsfragen vorliegen und den Fremden die lange Dauer des Asylverfahrens nicht angelastet werden kann.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, ausgeführt, dass Anträge nach den §§ 43 Abs.2, 44 Abs.3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten sei, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen. Das vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis angenommene Abschiebeverbot wird nunmehr seit der mit 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle BGBl I. Nr. 122/2009 nach den Voraussetzungen der Ausnahme des § 44 Abs.5 NAG geregelt. 

 

Dem Bw kann daher ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz und über die durch Antrag eingeleiteten Verfahren hinausgehender Inhalt zukommt. Denn wenn nach einer Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK die Ausweisung des Bw auf Dauer unzulässig ist, so müsste ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs.2 oder § 44 Abs.3 NAG erteilt werden. Dies ist allerdings nach § 44b Abs.3 letzter Satz NAG nur möglich, solange sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält. Für den Bw lag somit eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet war und andererseits aber im Inland bleiben musste, damit die Verleihung eines Aufenthaltsrechtes infolge einer für den Bw positiven Ausweisungsentscheidung überhaupt möglich war.

 

Aufgrund seines langjährigen Aufenthalts und seiner guten Integration in Österreich konnte der Bw damit rechnen – seine Vermutung hat sich schließlich dadurch bestätigt, dass mit Bescheid der Sicherheitsdirektion vom 19.05.2011 seine Ausweisung auf Dauer unzulässig erklärt wurde –, dass der gegen ihn erlassene Ausweisungsbescheid nicht rechtskräftig wird und er Österreich nicht verlassen muss, sodass sein illegaler Aufenthalt im Zeitraum von 12.02.2010 bis zur Stellung des Antrags nach dem NAG auch unter dem vorerwähnten Aspekt zu betrachten ist.

 

3.3.4. Der Berufung war daher gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs.4 AVG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z 2 VStG einzustellen.

 

4. Ergänzend dazu wird festgehalten, dass mittlerweile einerseits laut FI-Auszug dem Bw am 11. Mai 2011 vom Magistrat der Landeshauptstadt Linz eine "quotenfreie Erstniederlassungsbewilligung – erwerbstätig" erteilt wurde und anderseits mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vom 19. Mai 2011, Zl. E1/10301/2010, festgestellt wurde, dass gemäß § 66 Abs.3 FPG die Ausweisung des Bw gemäß §§ 31, 53 und 66 FPG  aus Gründen einer ansonst drohenden Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Dauer unzulässig ist.

 

5. Bei diesem Ergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

Mag.a Bergmayr-Mann

 

 

 

 

 

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