Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-750017/2/SR/WU

Linz, 16.07.2012

 

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der X, geboren am X, nigerianische Staatsangehörige, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Gmunden vom 28. November 2011, GZ Sich96-306-2011, wegen einer Übertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:

 

I.                  Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

II.              Die Berufungswerberin hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I.: §§ 24, 44a und 51 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991-VStG iVm. § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

Zu II.: § 64ff. VStG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Gmunden vom 28. November 2011, GZ.: Sich96-306-2011, wurde die Berufungswerberin (in der Folge: Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

Sie haben es zu verantworten, dass Sie sich seit Ablauf des Aufschubes betreffend der Durchführung jener Ausweisung, welche im Zuge Ihres zweiten Asylverfahrens - AIS: 10 04.629 - rechtskräftig - 06.08.2010 - gegen Sie erlassen wurde, somit seit 15.04.2011, nicht rechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten, da sich Fremde gemäß § 31 Abs. 1 FPG 2005 idgF nur dann rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten,

• wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z. 1),

• oder wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z. 2),

• oder wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen (Z. 3),

• oder solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt (Z. 4),

• oder wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs-gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben (Z. 6)

• oder soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt (Z. In Ihrem Fall war keine Fallvariante zutreffend.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§§ 31 Abs. 1 iVm. 120 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (iF: FPG) BGBl. 157/2005 idgF

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wird über Sie folgende Strafe verhängt:

 

Geldstrafe von 500 Euro, falls diese uneinbringlich ist, eine Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Stunden gemäß § 120 Abs. 1a FPG

 

Weitere Verfügungen (z.B. Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

50,00 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich 15 Euro angerechnet);

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher 550.00 Euro.

 

Begründend führte die belangte Behörde wie folgt aus:

 

Sie sind Staatsbürgerin von Nigeria und sind am 12.05.2007 gemeinsam mit zwei von Ihren minderjährigen Kindern, X und X, illegal per LKW in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist. Im Anschluss brachten Sie Asylanträge in Österreich ein. Diese Asylanträge wurden am 30.04.2010 rechtskräftig negativ abgewiesen. Weiters erwuchsen am 30.04.2010 Ausweisungen in zweiter Instanz in Rechtskraft. Anstatt Österreich zu verlassen brachten Sie für sich sowie die beiden minderjährigen Kinder Asyl-Folgeanträge ein. Diese Asylanträge wurden am 06.08.2010 gemäß § 68 AVG in zweiter Instanz rechtskräftig zurückgewiesen. Weiters erwuchsen am gleichen Tag Ausweisungen in zweiter Instanz in Rechtskraft. Die Durchführung Ihrer Ausweisung war jedoch bis zum Ablauf des Mutterschutz - Sie waren zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung schwanger -, somit bis zum 14.04.2011, aufgeschoben.

Am 18.02.2011 wurde Ihr jüngstes minderjähriges Kind, X, in Österreich geboren. Am 11.03.2011 brachten Sie für Ihn unter der Zahl - AIS: 11 02.366 - einen Asylantrag ein. Die erste Instanz hat bereits negativ entschieden. Sie brachten jedoch rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung ein. Sein Verfahren ist derzeit beim Asylgerichtshof anhängig.

 

Sie halten sich derzeit rechtswidrig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf. Der aus der Ausweisung resultierenden Ausreiseverpflichtung sind Sie bis jetzt nicht nachgekommen. Ihr rechtswidriger Aufenthalt im Bundesgebiet erstreckt sich vom Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit der Ausweisung an bis jetzt auf über sieben Monate.

 

Mit Schreiben vom 14.11.2011, welches Sie am 21.11.2011 persönlich bei der Bezirkshauptmannschaft Gmunden übernommen haben, wurden Sie aufgefordert sich binnen 2 Wochen zu der von Ihnen begangenen Verwaltungsübertretung zu äußern.

 

Am 24.11.2011 brachten Sie per Fax folgende Stellungnahme bei der Bezirkshauptmannschaft Gmunden ein:

 

"1) Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Gmunden, Abt. Fremdenpolizei, vom 14.11.2011, persönlich ausgefolgt durch Hrn. X am Montag, 21.11.2011, wurde mir die Möglichkeit eingeräumt, mich binnen 2 Wochen ab Zustellung der Aufforderung schriftlich zu rechtfertigen sowie die meiner Verteidigung dienenden Tatsachen und Beweismittel bekanntzugeben.

 

2) Gem. §120 Abs. 1a FPG begeht ein Fremder, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe zu bestrafen.

 

3) Gem. § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG hat die Behörde die Einstellung des Verfahrens zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung bildet.

 

Ein rechtmäßiger Aufenthalt ergibt sich, wie die Behörde richtigerweise feststellt aus den Gründen der Ziffern 2-4 und 6 des § 31 Abs. 1 FPG.

 

Ein rechtmäßiger Aufenthalt ergibt sich jedoch ebenso aus Gründen der Ziffer 7.

 

§ 31 Abs. 1 Z. 7 FPG besagt, dass sich ein rechtmäßiger Aufenthalt auch aus anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen ergeben kann.

 

Gem. § 21 Abs. 1 VStG kann die Behörde von der Verhängung der Strafe absehen, wenn das Verschulden geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.

 

4) Mein Kind X stellte per 11.03.2011 einen Asylantrag, welcher derzeit bei Asylgerichtshof anhängig ist. AlS-Zahl 11 02.366. Mit dem Antrag auf Rot-Weiß-Rot-Karte (Bleiberecht) am 8. November 2011 für mich und meine Kinder X und X habe ich mich bemüht, meinen Aufenthalt in Österreich zu legalisieren. Dazu habe ich auch - neben vielen anderen Beweisen meiner Integration - eine Jobzusage der Firma X vorgelegt. Im Hinblick auf das noch laufende Verfahren meines Sohnes X wäre es unzumutbar, das Kind alleine in Österreich zurückzulassen. Es liegt deshalb m. E. entschuldigender Notstand gem. § 6 VStG vor.

 

In meinem Fall, trotz angenommener Verletzung der die Einhaltung der Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, ist von unbedeutenden Folgen bzw. keinem Verschulden auszugehen.

 

Denn das Verschulden des Beschuldigten ist dann geringfügig, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (VwGH 10.12.2001, 2001/10/0049) - was wie unter Punkt 4. dargelegt auf mich zutrifft.

 

An dieser Situation hat sich bis dato nichts geändert.

 

5) Aus diesem Grund wird die Einstellung des Verfahrens beantragt"

 

Nach Darstellung der einschlägigen Normen stellte die belangte Behörde folgende rechtliche Überlegungen an:

 

Aufgrund des festgestellten Sachverhalts sieht die erkennende Behörde die Begehung der Ihnen angelasteten Verwaltungsübertretung als erwiesen an. Ihrer Ausreiseverpflichtung sind Sie bisher nicht nachgekommen. Da seit dem rechtskräftigen Abschluss des zweiten Asylverfahrens, somit seit 07.08.2010, keine Fallvariante des § 31 Abs. 1 FPG 2005 idgF mehr auf Sie zutrifft, halten Sie sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Da jedoch die Durchführung der am 06.08.2010 rechtskräftigen Ausweisung bis zum Ablauf des Mutterschutz - 14.04.2011 - aufgeschoben war, kann Ihnen erst ab 15.04.2011 - Beginn der Durchsetzbarkeit der Ausweisung - ein verschuldeter unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet der Republik Österreich angelastet werden. Durch das noch laufende Asylverfahren Ihres jüngsten Sohnes können Sie selbst gemäß den Bestimmungen des § 31 Abs. 1 FPG 2005 idgF kein Aufenthaltsrecht für Österreich ableiten. Zudem wird angeführt, dass Ihr Sohn auch trotz einem laufenden Asylverfahren Österreich gemeinsam mit Ihnen verlassen kann. Der von Ihnen nach den Bestimmungen des NAG 2005 idgF gestellte Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung verschafft Ihnen kein Aufenthaltsrecht. Es ergibt sich auch kein Aufenthaltsrecht aus anderen gesetzlichen Bestimmungen.

 

Dadurch, dass Sie sich trotz Ablauf des Durchsetzungsaufschubes - Ablauf am 14.04.2011 welcher Ihnen im Zuge der am 06.08.2010 rechtskräftig erlassenen Ausweisung gewährt wurde, noch immer beharrlich rechtswidrig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten, dies über einen Zeitraum von über sieben Monaten - gerechnet ab der Durchsetzbarkeit der Ausweisung -, haben Sie den objektiven Tatbestand der Verwaltungsübertretung gem. § 120 Abs. 1a FPG 2005 idgF erfüllt. Da keine nachvollziehbaren Schuldauschließungsgründe geltend gemacht bzw. festgestellt wurden ist auch das subjektive Tatbestandselement erfüllt.

 

Nach weitergehenden rechtlichen Ausführungen kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die verhängte Strafe schuldangemessen sei.

 

2. Die Zustellung des Straferkenntnisses erfolgte zu eigenen Handen am 30. November 2011.

 

Dagegen erhob die Bw mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 fristgerecht Berufung.

 

Einleitend beantragte die Bw die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens in eventu die Herabsetzung der Strafe.

 

In der Begründung führte die Bw u.a. aus, dass das Asylverfahren ihres minderjährigen Sohnes X, geboren am X, unter der Zahl AI 11 02.366 beim Asylgerichtshof anhängig sei. Eine Ausreise sei ihr unter diesen Umständen nicht zuzumuten, da sie ihren Sohn nicht in Österreich zurücklassen könne. Es liege somit entschuldigender Notstand vor.

 

3. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 übermittelte die belangte Behörde den bezughabenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erhob Beweis durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt und weitergehende Ermittlungen.

 

Die ZMR-Anfrage vom 16. Juli 2012 ergab, dass die Bw seit dem 23. Mai 2007 in X, aufrecht gemeldet ist.

 

Laut EKIS-Abfrage vom 16. Juli 2012 (AI/FI) ist das Asylverfahren des Sohnes X, geboren am X, seit dem 13. April 2011 beim Asylgerichtshof anhängig. Dem Beschwerdeführer kommt im Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz zu (Aufenthaltsberechtigungskarte Nr. 11102366118).

 

3.2. Da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfiel gemäß § 51e Abs. 2 VStG die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung.

 

3.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten, entscheidungsrelevanten Sachverhalt und den unter Punkt 3.1. angeführten Ermittlungsergebnissen aus.

 

3.4. Da im angefochtenen Bescheid keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 51c VStG).

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs. 1a des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 500 Euro bis zu 2 500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 2 500 Euro bis zu 7 500 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist.

 

Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im   Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die     durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung          bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur          Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für       Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten    Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet   keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen         zukommt;

5. (aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs-        gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebe-­       willigung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3     Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit       einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

4.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst unbestritten, dass der Bw ab dem 15. April 2011 in Österreich keinerlei Aufenthaltsrecht mehr zukam. Weiters ist unbestritten, dass keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG vorliegt.

 

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die objektive Tatseite im vorliegenden Fall zweifelsfrei gegeben ist.

 

4.3.1. Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

4.3.2. Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

 

Die Bw macht nun geltend, dass das Asylverfahren ihres am X geborenen Sohnes X noch beim Asylgerichtshof anhängig sei, sie diesen nicht alleine in Österreich zurücklassen könne, weshalb sie sich entschuldigt sieht, dieses Verfahren im Inland abwarten zu wollen.

 

4.3.3. Mit diesem Vorbringen ist die Bw im Recht.

 

Nach § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt ist.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe VwGH vom 30.4.1999, 97/21/0119) ist unter (entschuldigendem) Notstand im Sinne des § 6 VStG ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten zu verstehen, in dem sich jemand oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im Allgemeinen strafbare Handlung begeht.

 

Unbestritten ist die Bw zur Ausreise verpflichtet. Ebenso unstrittig ist, dass die Bw zur Obsorge ihres Sohnes verpflichtet ist. Der Sohn ist aufgrund der einschlägigen Bestimmungen nach dem Asylgesetz zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Auch wenn offenkundig scheint, dass der in Österreich geborene Fremde einer asylrelevanten Verfolgung in der Heimat der Bw nicht ausgesetzt ist, dürfte das Verfahren dennoch nicht so ohne weiteres zu finalisieren zu sein, weil das Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof seit mehr als einem Jahr anhängig ist. Da der Sohn der Bw im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat der Bw somit tatsächlich im Sinne des AsylG bedroht sein kann, kann der Bw eine Rückkehr in den Herkunftsstaat mit dem Sohn nicht zugemutet werden. Ebenso wenig kann von der Bw verlangt werden, dass sie den Sohn allein in Österreich zurücklässt und die Pflege des Einjährigen Fremden überträgt.

 

Eine Interessenabwägung im Sinne des Art 8 EMRK ist im vorliegenden Fall zugunsten der Bw vorzunehmen. Für den Bw lag somit eine entschuldigende Notstandssituation im Sinne des § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor.

 

In dieser Zwangslage kann der Bw die angelastete Tat nicht zum Vorwurf gemacht werden.

 

Der Berufung war daher stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen, weil entschuldigende Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit der Bw ausschließen.

 

5. Bei diesem Ergebnis war der Bw gemäß den §§ 64 ff. VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Mag. Christian Stierschneider

 

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