Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280257/10/Schi/Km

Linz, 21.07.1997

VwSen-280257/10/Schi/Km Linz, am 21. Juli 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 6. Kammer (Vorsitzende: Dr. Klempt, Berichter: Dr. Schieferer, Beisitzer: Dr. Fragner) über die Berufung des F R gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 13.5.1996, Zl. GZ. 502-32/Sta/26/96j, wegen Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes 1994 iVm der Bauarbeiterschutzverordnung zu Recht erkannt:

Die Berufung wird hinsichtlich der Schuld abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich bestätigt. Die verhängte Geldstrafe wird auf 10.000 S, die Ersatzfreiheitsstrafe auf einen Tag und der erstinstanzliche Verfahrenskostenbeitrag auf 1.000 S herabgesetzt.

Ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens entfällt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG, § 5, § 9 Abs.1, § 16, § 19, § 64, § 65 VStG; § 23 Abs.1 Arbeitsinspektionsgesetz 1993, § 48 Abs.2 und 7 BAV, § 130 Abs.5 Z1 iVm § 118 Abs.3 ASchG Entscheidungsgründe:

1. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz hat den Rechtsmittelwerber als Vorstandsmitglied der S Österreich AG mit dem Sitz in L, und somit als gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen schuldig erkannt, es vertreten zu müssen, daß am 16.11.1995 um 08.50 Uhr auf der von der genannten Aktiengesellschaft betriebenen Baustelle "Kanal V" der Arbeitnehmer H M mit Tiefenkontrollarbeiten in einer bereits fertig maschinell ausgegrabenen 1,9 m tiefen und 4,0 m langen Künette vor dem Schacht 372, beschäftigt gewesen sei, wobei die Künettenwände weder abgeböscht, verbaut oder gepölzt, noch durch geeignete Verfahren zur Bodenverfestigung gesichert gewesen seien, wodurch eine Gefährdung für den Arbeitnehmer durch abrutschendes oder herabfallendes Material bestanden habe und ein Betreten dieser Künette nur nach durchgeführter Sicherheitsmaßnahme zulässig sei. Wegen Verletzung des § 130 Abs.5 Z1 iVm § 118 Abs.3 ASchG iVm § 48 Abs.2 und 7 der BAV, wurde ihm deswegen in Anwendung des § 130 Abs.5 ASchG eine Geldstrafe von 20.000 S - im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 67 Stunden und ein erstinstanzlicher Verfahrenskostenbeitrag von 2.000 S auferlegt.

2.1. In seiner dagegen eingebrachten Berufung macht der rechtsfreundlich vertretene Berufungswerber im wesentlichen geltend, daß einerseits eine wirksame Übertragung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung an Ing. H erfolgt sei; in eventu wird mangelndes Verschulden infolge eines ohnedies funktionierenden Weisungs- und Kontrollnetzes eingewendet. Bei der genannten Kanalbaustelle seien täglich 40-50 Laufmeter Künette gegraben worden und hiebei ständig Fertigverbauten zur Sicherung der Künette angebracht worden. Bei dem vorgeworfenen Tatort habe es sich um eine Stelle gehandelt, bei der durch eine Querung der Ortswasserleitung der Fertigverbau nicht mitgezogen habe werden können, sondern eine Pölzung durch Holz vorgesehen gewesen sei. Das entsprechende Pölzungsmaterial habe sich unweit dieser Querung befunden und sei bereits der Auftrag erteilt gewesen, dieses herbeizuschaffen. Währenddem die anderen Mitarbeiter bereits zur Jause gegangen waren, habe H M weisungswidrig die Künette betreten. Das Unternehmen beschäftige 7000 Mitarbeiter und der Vorstand der S Österreich AG erachte die Sorge für den Schutz des Lebens und der körperlichen Sicherheit der Mitarbeiter als eine ihrer vornehmsten Pflichten. 2.2. Das Unternehmen sei zur maßgerechten Wahrnehmung der Verantwortung sowohl örtlich als auch hierarchisch gegliedert; letztere reiche vom Vorstand über den Zweigstellenleiter zum Bauleiter und Polier.

In der industriellen Bauwirtschaft bestünden nach Zahl, Ort und Umfang, ständig wechselnde Baustellen. Wenn in einem Zweigstellenbereich mehrere Bauleiter zur Verfügung stünden, sei es nicht möglich, ihren örtlichen Verantwortungsbereich etwa nach politischen Bezirken aufzuteilen. Es sei damit in örtlicher Hinsicht ein bewegliches System vorgesehen, damit auf geänderte Verhältnisse rasch und unbürokratisch reagiert werden könne. Dem § 23 Arbeitsinspektionsgesetz könne nicht unterlegt werden, daß der verantwortliche Beauftragte gewissermaßen Sitzredakteur spielen müsse, um in erster Linie dazu zu dienen, eine Bestrafung zu ermöglichen. Hauptziel sei die sachgerechte zielgerichtete Organisation und nicht die nachträgliche Repression.

2.3. Die von der Judikatur erarbeiteten Kriterien der Zulässigkeit der Bestellung nur eines bestimmten verantwortlichen Beauftragten, mögen für einen erheblichen Kreis von Unternehmen anwendbar sein. Für ein Großunternehmen der Bauwirtschaft seien sie in dieser Form nicht anzuwenden, weil damit von lebensfremden Voraussetzungen ausgegangen werde. Es sei der Behörde durchaus möglich und zumutbar, Nachforschungen anzustellen, um bei überlappenden Bestellungen den Richtigen zu finden. Die präzise Festlegung des Aufgabenumfanges jedes Einzelnen für bestimmte Bereiche verantwortlichen Mitarbeiters, würde einen derartigen Umfang erreichen, daß ihre Erarbeitung und die Bekanntgabe an die Arbeitsinspektorate einen nicht administrablen Aufwand, sowohl für das Unternehmen als auch für die Arbeitsinspektorate bedeuten würde. Auch die Arbeitsinspektorate seien offenbar diesen Erwägungen gefolgt, weil alle Bekanntmachungen der S Österreich AG ohne jeden Einwand zur Kenntnis genommen worden seien.

2.4. Wenn schon aus formalen Gründen ein Bestellungsakt als unwirksam erklärt werde und die Verantwortung auf die zur Vertretung nach außen berufenen Organe der Gesellschaft zurückfalle, so könne bei den gegebenen Großunternehmen nur in den seltensten Fällen ein schuldhaftes Verhalten von Vorstandsmitgliedern gegeben sein.

Durch die organisatorischen und sonstigen Maßnahmen des Vorstandes seien alle sinnvollen Maßnahmen getroffen worden, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwarten ließen. Vereinzelte weisungswidrige und zeitlich kurz befristete Fehlhandlungen einzelner Mitarbeiter seien durch keine wie immer gearteten organisatorischen Maßnahmen zu verhindern. An Ort und Stelle des gegenständlichen Bauvorhabens habe für die sachgerechte Durchführung der angeordneten Maßnahmen der geschulte und erfahrene Polier H R zu sorgen gehabt. Die Kontrolle über die gesamte Baustelle sei dem als verantwortlichen Bauleiter Herrn Ing. G H übertragen gewesen. Letzterer sei befähigt gewesen, die Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen sowohl anzuordnen, als auch zu überwachen. Er sei seinen Aufgaben immer in zufriedenstellender Weise nachgekommen. Die Kontrolle seiner Tätigkeit und allfällige zusätzliche Weisungen seien durch Ing. M N als Zweigstellenleiter für den Bereich der Zweigniederlassung Graz erfolgt. Für den gleichen Bereich sei ihm der Sicherheitsbeauftragte Herr Ing. E P zur Seite gestanden. Es bestünde ein unmittelbarer und ständiger Kontakt zwischen dem jeweiligen Niederlassungsleiter und dem Vorstand. Dadurch sei gewährleistet, daß der Vorstand über das gesamte Betriebsgeschehen im Bereich der jeweiligen Zweigniederlassung vollständig und rechtzeitig informiert werde, sodaß er in der Lage sei, allfällige Maßnahmen zur Beseitigung bestehender und die Verhinderung künftiger Unzukömmlichkeiten wirkungsvoll zu veranlassen. Die Betriebsorganisation sei sachgerecht, sodaß die vom Gesetz geforderte subjektive Tatseite der Fahrlässigkeit nicht gegeben sei. Ergänzend hiezu hat der Vertreter des Rechtsmittelwerbers außerhalb der Berufungsschrift vorgebracht, daß vorrangig vor den Bestimmungen der inländischen Rechtsordnung die Bestimmungen der Richtlinien des Rates der EWG vom 12.6.1989, 89/391 und vom 24.6.1992, 92/57, anzuwenden seien. Sinngemäß macht der Berufungswerber geltend, daß die Bestellung von mehreren verantwortlichen Beauftragten zulässig und geboten erscheine. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nehme auf das hier anzuwendende EU-Recht bisher nicht Bedacht.

2.5. Im gesamten begehrt der Rechtsmittelwerber wegen der Sache nicht bestraft zu werden und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

3.1. Die Strafbehörde hat keine Berufungsvorentscheidung erlassen, sondern - als nunmehr belangte Behörde - die Berufung samt Strafakt vorgelegt. Von einer Gegenäußerung zum Berufungsvorbringen hat die belangte Behörde abgesehen.

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist in diesem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 51 Abs.1 VStG als Berufungsbehörde zuständig und entscheidet gemäß § 51c durch die zuständige Kammer, weil eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde.

Aus der Akteneinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat einen genügend geklärten Sachverhalt vorgefunden. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind in der Begründung des Straferkenntnisses vollständig und mit dem Akteninhalt übereinstimmend so dargestellt, daß sich der unabhängige Verwaltungssenat ein klares und abschließendes Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen kann. Weitere Beweise sind nicht mehr aufzunehmen.

3.2. Gemäß § 15 Abs.6 iVm § 11 Abs.1 ArbIG 1993 sowie § 51e Abs.2 VStG wurde die Berufung dem Arbeitsinspektorat für den 11. Aufsichtsbezirk in Graz zur Kenntnis gebracht; dieses gab mit Schreiben vom 5. März 1997 eine Stellungnahme ab, welche mit h. Schreiben vom 28. Mai 1997 dem Bw zu Handen seiner ausgewiesenen Vertreter zur Kenntnis gegeben wurde. Der Bw hat dazu mit Schriftsatz vom 10.7.1997 eine abschließende Äußerung abgegeben.

3.3. Anläßlich der mündlichen Berufungsverhandlung in den Fällen VwSen-280258 (Ing. E N) und VwSen-280259 (H P) betreffend denselben Sachverhalt am 15. Oktober 1996 vor dem O.ö. Verwaltungssenat hat der Vertreter des Berufungswerbers erklärt, daß die Ergebnisse des dortigen Beweisverfahrens auch im gegenständlichen Verfahren zugrundegelegt werden sollen, weshalb auf die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung verzichtet wurde.

In dieser Berufungsverhandlung am 15.10.1996 wurden H R, Mag. W B, Ing. G H und. Ing. M N als Zeugen vernommen, der Akteninhalt erörtert und dem Vertreter des Arbeitsinspektorates und des Rechtsmittelwerbers Gelegenheit zur Geltendmachung des rechtlichen Gehörs geboten.

4. Folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt steht deshalb fest:

4.1. Der Beschuldigte ist Mitglied des viergliedrigen Vorstandes der S Österreich AG mit dem Sitz in L und in dieser Eigenschaft zur Außenvertretung dieser juristischen Person berufen. Vorstandsintern nimmt Ing. N die Verantwortung für den Bereich Tiefbau wahr.

Das Unternehmen gliedert sich in mehrere Zweigniederlassungen, darunter auch in eine solche für das Land Steiermark und beschäftigt insgesamt auf zahlreichen Baustellen in Österreich rund 7000 Mitarbeiter.

Niederlassungsleiter der S Graz ist Ing. M N. Diese Niederlassung ist sowohl sachlich als auch räumlich untergliedert, wobei sich die räumlichen Bereiche teilweise überschneiden. Für die Bereiche sind gesonderte Bereichsleiter unterstellt. Diesen unterstellt sind die Bauleiter, welche die Aufsicht über die Poliere und Arbeitnehmer auf den einzelnen Baustellen wahrnehmen.

Der Niederlassungsleiter für die Steiermark hat mit dem Bereichsleiter wöchentlich zwei- bis dreimal Kontakt. Die Gebietsbauleitungen Keinisch und Münzhofen werden vom Niederlassungsleiter persönlich bereist.

Bezüglich der Einhaltung von Rechtsvorschriften ist in Linz ein Rechtsbüro eingerichtet, welches von Herrn Mag. B geleitet wird und mit dem der Niederlassungsleiter von Graz ständigen Kontakt hielt.

4.2. Am 16.11.1995 stellte ein Vertreter des Arbeitsinspektorates für den 11. Aufsichtsbezirk um 08.50 Uhr fest, daß auf der von der S Österreich AG betriebenen Baustelle "Kanal V" der Arbeitnehmer H M in einer maschinell ausgehobenen 1,90 m tiefen und 4,0 m langen Künette, Tätigkeiten verrichtete, wobei die Künettenwände weder abgeböscht, verbaut, gepölzt noch sonst durch geeignete Verfahren zur Bodenverfestigung gesichert waren. Polier an dieser Baustelle war Herr H R. Auf der Baustelle waren 3-4 mechanische Fertigverbauten aus Metall vorrätig, die in der Künette sonst ständig mitgezogen wurden. Im zuvor beschriebenen Bereich befand sich eine Querung mit einer Wasserleitung. Den Arbeitnehmern war aufgetragen in diesem Bereich eine Pölzung aus Holzpfosten und Spindeln samt Kleinmaterial vorzunehmen. Das Baulager befand sich ca. 200 m entfernt. Der Polier beauftragte den LKW-Fahrer die erforderlichen Pölzungsutensilien herbeizuschaffen. Bevor dies aber geschah, begab sich der Arbeitnehmer H M in die ungepölzte Künette und wurde dabei von einem Vertreter des Arbeitsinspektorates für den 11. Aufsichtsbezirk gesichtet. Andere Arbeitnehmer hatten sich zur Jause begeben. Die Baustelle wurde fortlaufend vom selben Arbeitsinspektor kontrolliert, der meistens in Begleitung des Poliers R seine Besichtigungen machte. Dem Polier war erinnerlich, daß der Arbeitsinspektor zuvor einmal beanstandet hatte, daß die Verbauten nicht ganz bis zur Künettensohle geführt worden waren. Seit der Eröffnung der Baustelle "Kanal V" war der Bauleiter Ing. H täglich einmal, teilweise auch zweimal auf der Baustelle und gab Anweisungen. Er wurde über besondere Vorkommnisse vom Polier unterrichtet. Der Polier hatte mit dem Bauleiter stets telefonischen Kontakt mittels Handy. Vorgesetzter (offensichtlich Bereichsleiter) des Bauleiters Ing. H war Ing. G, der Chef der Kanalbauabteilung.

4.3. Anläßlich vorangegangener Kontrollen des Bauleiters Ing. H und den dabei gemachten Feststellungen sah sich dieser veranlaßt am 6.11.1995 eine Eintragung in das Bautagebuch zu machen und die Mitarbeiter der Firma S und der sonstigen am Bau beschäftigten Professionisten zum wiederholten Male aufzufordern den Vorschriften laut BauV bzw. der Bestimmungen der Merkblätter der AUVA vollinhaltlich nachzukommen. Insbesonders wurde Bezug genommen auf die Arbeiten in Gruben und Künetten und auf die geforderte Pölzung der Künettenwände sowie die Helmtragungspflicht.

Die Belehrung und der Erhalt des Merkblattes M232 der AUVA wurde durch 7 Arbeitnehmer durch deren teilweise schwer leserliche Unterschrift (darunter vermutlich auch des H M) bestätigt.

Dem Bauleiter war auch die Beanstandung des Arbeitsinspektorates Graz vom 8.11.1995, Zl. 0050/1173-L/1955, bezüglich des nicht entsprechenden Böschungswinkels bzw. der fehlenden Pölzung im Bereich eines anderen Schachtes derselben Kanalbaustelle bekannt.

4.4. Die Entlohnung der Arbeitnehmer für die gegenständliche Baustelle erfolgte in Regie. Ing. H, der Bauleiter, hatte die Befugnis, Arbeitnehmer, die den Arbeitnehmerschutzvorschriften zuwiderhandeln, zu maßregeln und nötigenfalls auch zu kündigen, wobei er allerdings den Bereichsleiter zu informieren hatte und die schriftliche Ausfertigung der Kündigung über die Personalabteilung im Grazer Büro vollzogen wurde.

4.5. Ing. H war für die in Rede stehende Baustelle als Bauleiter beim zuständigen Arbeitsinspektorat in Graz genannt worden. Er war auch laut Urkunde vom 2.6.1995 für den räumlichen Zuständigkeitsbereich Ost-West und Südsteiermark und Graz im Bereich Tiefbau zum verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung aller Arbeitnehmerschutzvorschriften bestellt worden und hatte dieser Bestellung zugestimmt. Diese Bestellungsurkunde lag dem Arbeitsinspektorat für den 11. Aufsichtsbezirk in Graz vor Begehung der Tat vor. Die Anzeige des Arbeitsinspektorates vom 22.11.1995 richtete sich gegen diesen verantwortlichen Beauftragten.

4.6. Neben Ing. H wurden dem Arbeitsinspektorat Graz mit Schreiben vom 6.4.1993, 24.8.1995 und 13.9.1995 für den räumlich überlappenden Bereich die Bestellung weiterer verantwortlicher Beauftragter für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften bekanntgegeben, welche für die Kanalbaustelle V als verantwortliche Beauftragte in Betracht kamen. Es waren dies Ing. C B, Ing. B K, Ing. G G, für den räumlichen Bereich Graz und Graz-Umgebung; Ing. M N, E B, Ing. K L, Ing. W Z und Ing. G K, für den Bereich Steiermark; H H für den Bereich Südsteiermark, Ing. E P für den Bereich Weststeiermark, Ost- und Südsteiermark und Graz; Ing. O P für den Bereich Graz und Oststeiermark.

4.7. Nachdem Vasoldsberg zum Bezirk Graz gehört, kamen sohin mehrere Personen in Betracht, für die beim zuständigen Arbeitsinspektorat Bestellungsurkunden zum verantwortlichen Beauftragten samt deren Zustimmungserklärungen vorlagen.

5. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

5.1. Gemäß § 130 Abs.5 Z1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 2.000 S bis 100.000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 4.000 S bis 200.000 S zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber den nach dem neunten Abschnitt weiter geltenden Bestimmungen zuwiderhandelt. Daß es sich um einen Wiederholungsfall handelt, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Gemäß § 118 Abs.3 ASchG gilt die Bauarbeiterschutzverordnung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen als Verordnung nach diesem Bundesgesetz.

Gemäß § 48 Abs.2 BauV ist beim Ausheben von Gruben, Gräben oder Künetten von mehr als 1,25 m Tiefe, unter Berücksichtigung der örtlichen Standfestigkeit des Bodens, der Wasserverhältnisse, der Auflasten sowie auftretender Erschütterungen eine der folgenden Maßnahmen durchzuführen, sodaß Arbeitnehmer durch abrutschendes oder herabfallendes Material nicht gefährdet werden können:

1. die Wände von Gruben, Gräben oder Künetten sind entsprechend § 50 abzuböschen; 2. die Wände von Gruben, Gräben oder Künetten sind entsprechend §§ 51 und 52 zu verbauen oder 3. es sind geeignete Verfahren zur Bodenverfestigung (§ 53) anzuwenden.

Gemäß § 48 Abs.7 BauV dürfen Baugruben, Gräben oder Künetten nur betreten werden, wenn die Sicherungsmaßnahmen nach Abs.2 durchgeführt sind.

5.2. Wie bereits oben unter Pkt. 4 ausgeführt, ist am gegenständlichen objektiven Sachverhalt nichts strittig, weshalb auch der objektive Tatbestand klar gegeben war. Wenn der Bw in der Äußerung vom 10.7.1997 darauf hinweist, daß nicht die Künette in ihrer gesamten Länge ungesichert gewesen sei, sondern nur in einer Länge von vier Metern, so ist darauf zu verweisen, daß auch im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses dem Bw nichts anderes vorgeworfen wurde. Der weitere Beweisantrag, wonach es "technisch nicht möglich sei, uno actu eine Künette zu erstellen und abzusichern", war abzuweisen, weil dies schon aus logischen Gründen nicht möglich ist und daher als offenkundige Tatsache keines weiteren Beweises bedarf; andererseits ist diese Frage hier nicht von Bedeutung, weil zum Tatzeitpunkt der Zeuge H M Tiefenkontrollen in der ungesicherten Künette durchgeführt hat. Die Rechtswidrigkeit ist durch die angeführten Normen indiziert.

6. Zum Verschulden:

6.1. Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandlung gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Besondere Bestimmungen über das Verschulden enthält das Arbeitnehmerschutzgesetz nicht.

Gemäß § 9 Abs.1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen - bei der S Österreich AG handelt es sich um eine solche - sofern die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs.2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Die Einhaltung der Bauarbeiterschutzverordnung ist, was die Außenwirksamkeit anlangt, keiner bestimmten Person aus dem Kreis des Vorstandes zugeordnet.

Besondere Zurechenbarkeitsbestimmungen enthält auch das Arbeitnehmer-schutzgesetz nicht.

6.2. Im vorliegenden Fall ist das Betreten einer ungeschützten Künette durch einen Arbeitnehmer der S Österreich AG nicht strittig. Releviert wurde lediglich die Zulässigkeit der Bestellung von zwei oder mehr verantwortlichen Beauftragten für ein und denselben räumlichen Bereich, nämlich die "Kanalbaustelle V", und zwar ungeachtet der Tatsache, daß Ing. H neben der Meldung an das Arbeitsinspektorat als Aufsichtsperson auch zum verantwortlichen Beauftragten neben anderen Personen bestellt worden war und durch die Meldung an das zuständige Arbeitsinspektorat eine rechtswirksame Übertragung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung für die vorliegende Beanstandung zu Lasten des Ing. H zustandegekommen sei, wobei unter einem dies die Vorstandsmitglieder entlastet haben sollte.

Gemäß § 23 Abs.1 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 wird die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten rechtswirksam, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des Bestellten eingelangt ist.

Zu verantwortlichen Beauftragten dürften nur leitende Angestellte, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind, bestellt werden.

In zweiter Linie wird, in eventu, mangelndes Verschulden infolge eines funktionierenden Kontrollnetzes releviert.

6.3. Fest steht, daß das Arbeitsinspektorat Graz von der Überlappung der Bestellung mehrerer verantwortlicher Beauftragter, die für den gegenständlichen Fall zur verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung herangezogen werden konnten, Kenntnis hatte, dessen ungeachtet keine Mitteilung an die Arbeitgeber (den Vorstand) der S Österreich AG übersandte, daß etwa Bedenken wegen Nichtvorliegens einer Stellung als leitender Angestellter oder wegen Überlappung von Verantwortungsbereichen bestünden.

6.4. Wenngleich letztendlich die Rechtswirksamkeit einer Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten erst im Rahmen eines Strafverfahrens durch die Behörde zu prüfen ist, so ist festzuhalten, daß ein Arbeitsinspektorat, welchem Mängel bei der Bestellung verantwortlicher Beauftragter als unmittelbare Anlaufstelle in die Augen fallen, verhalten ist, den Arbeitgeber darüber zu informieren (idS Scherff im Kurzkommentar zum Arbeitnehmerschutzgesetz in der Schriftenreihe ARD der Ausgabe aushangpflichtiger Gesetze, Seite 241). Andererseits macht ein Unterlassen der "Mängelrüge" durch das AI aus einer unwirksamen Bestellung keine wirksame.

Was die Wirksamkeitsvoraussetzungen betrifft, bleibt es dabei, daß es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich ist, daß immer nur eine von vornherein feststehende Person in Betracht kommt, mithin für denselben Verantwortungsbereich nur ein verantwortlicher Beauftragter bestellt werden darf (vgl. VwGH 7.4.1995, Zl. 94/09/0470 u.a.m.). Das Vertrauen auf die Wirksamkeit der Bestellung wirkte daher allenfalls schuldmindernd.

Was die sonstige Organisation als Vorkehrung für den Schutz und die Einhaltung des Dienstnehmerschutzes anlangt, so war die hierarchische Planung und die Durchgriffsmöglichkeit (vgl. Erk. v. 4.3.1997, VwSen-280259/17/Gu/Mm) grundsätzlich wohldurchdacht. Es war daher auch der weitere Beweisantrag auf Vernehmung eines SV auf dem Gebiet der Baubetriebslehre abzuweisen; ebenso abzuweisen war der Antrag auf Einvernahme des Prokuristen Mag. Wolfgang Brejcha, zumal dieser bereits im Berufungsverfahren VwSen- 280258 und VwSen-280259 (Berufungsverhandlung am 15.10.1996) eingehend vernommen und die Beweisergebnisse mit Zustimmung des Bw hier verwertet werden durften. Schließlich wird das diesbezügliche Vorbringen des Bw ohnehin als wahr anerkannt und daher entsprechend als mildernd (sh. unten Pkt. 7.3.) gewertet.

6.5. Nachdem jedoch einerseits bereits Beanstandungen an anderen Orten des Gesamtprojektes "Kanalbaustelle V" durch das Arbeitsinspektorat aufgetreten waren, eigene Wahrnehmungen des Bauleiters, welche im Bautagebuch vermerkt sind, auf gewisse Nachlässigkeiten bei der Pölzung durch Arbeitnehmer schließen lassen, aufscheinen, war das Melde- und Informationssystem sowie vice versa das darauf reagierende Weisungs- und Kontrollsystem nicht so eingehend mobilisiert, daß es eine weitere Beanstandung wie die vorliegende, ausgeschlossen hätte.

Weil aber der Schutz der Arbeitnehmer gemessen am Gleichheitsgrundsatz gleiches Gewicht hat und zwar unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer unter einem großen Konzern arbeitet oder wenn er nur im Beisein der als natürliche Person agierenden Arbeitgebers Verwendung findet, kommt der O.ö. Verwaltungssenat unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der das Schutzinteresse des Arbeitnehmers besonders ernst nimmt, zum Ergebnis, daß der Beschuldigte als Vorstandsmitglied der S Österreich AG (der zur Vertretung dieser Gesellschaft und somit zur Einhaltung der Verwaltungsvorschriften mangels rechtswirksamer Übertragung der Verantwortung an eine andere Person berufen ist), ein Verschulden für Mängel in Organisation, Weisung und Kontrolle, wenn auch nur in Form der Fahrlässigkeit, zu verantworten hat.

6.6. Da gemäß § 3 Bauarbeiterschutzverordnung bei mehr als fünftägigen Bauarbeiten - um solche handelte es sich offensichtlich bei der Kanalbaustelle Vasoldsberg - ohnedies an das zuständige Arbeitsinspektorat eine Meldung zu erstatten war, welche die genaue Lage der Baustelle, den Zeitpunkt des Arbeitsbeginnes, Art und Umfang der Arbeiten, die voraussichtliche Zahl der Beschäftigten und den Namen der vorgesehenen Aufsichtsperson enthalten mußte, erscheint die Meldung eines verantwortlichen Beauftragten, im Vergleich dazu, keine besonders ins Gewicht fallende Mehrbelastung.

6.7. Was die vom Berufungswerber bezüglich der Zulässigkeit der Mehrfachbestellung von verantwortlichen Beauftragten ins Treffen geführten Richtlinien des Rates der EWG vom 12.Juni 1989, 89/391 bzw. vom 24.Juni 1992, 92/57 anlangt, so ist zunächst zu bemerken, daß die RL 89/391 eine RahmenRL darstellt, wobei deren Bestimmungen (zB Evaluierungspflicht der Arbeitgeber) in weiteren EinzelRL (zB ua. RL 92/57) konkretisiert und erweitert werden. Die einzelnen RL sehen eine Vielzahl von Informations-, Unterweisungs- und Beteiligungspflichten vor, enthalten aber absolut keine Aussagen zur verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit; sie können daher schon aus rechtslogischen Gründen nicht im Widerspruch zur diesbezüglichen Judikatur des VwGH stehen.

Weiters ist darauf zu verweisen, daß aus der Materialienleiste zum ASchG, BGBl.Nr. 450/1994, hervorgeht, daß ua die vom Bw zitierten RL gerade mit dem ASchG (bereits aufgrund Art. 67 des EWR-Abkommens, wobei Anh. XVIII die Liste der umzusetzenden Mindestvorschriften enthält) ins österreichische Recht umgesetzt wurden: 389 L 0391 =RL 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit; 392 L 0057 = RL über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz. Da somit der behauptete Widerspruch zum EU-Recht in keiner Weise gegeben war, sah sich der O.Ö. Verwaltungssenat auch nicht veranlaßt, im Sinne der Anregung des Bw eine Vorabentscheidung (Art.177 EGV) zu initiieren.

6.8. Das Verschulden des Rechtsmittelwerbers wurde vom O.ö. Verwaltungssenat angesichts der vorstehenden Sachverhaltsfeststellungen nicht als gewichtig gesehen. Die Verletzung des geschützten Interesses, nämlich daß ein Gefährdungspotential beim Betreten der ungesicherten Künette herrschte, war jedoch von mittlerem Gewicht. Aus diesem Grunde konnte kein Absehen von einer Bestrafung im Sinn des § 21 Abs.1 VStG erfolgen.

7. Was die im übrigen nicht gesondert bekämpfte Höhe der verhängten Strafe anlangt, hat der O.ö. Verwaltungssenat erwogen:

7.1. Gemäß § 19 Abs.1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Gemäß § 19 Abs.2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

7.2. Nachdem keine rechtskräftige Vorstrafe aufscheint, reichte der Strafrahmen für die ggst. Verwaltungsübertretung von 2.000 S bis 100.000 S.

Dem von der ersten Instanz geschätzten Monatseinkommen von 60.000 S und der Annahme des Nichtvorliegens von Sorgepflichten, wurde in der Berufung und auch sonst nicht entgegengetreten. Ein besonderer Erschwerungsgrund liegt nicht vor.

Die von der ersten Instanz als besonderer Strafmilderungsgrund gewertete bisherige Unbescholtenheit wurde im Verfahren durch keinen Umstand in Zweifel gezogen.

7.3. Angesichts der Nichtreaktion des zuständigen Arbeitsinspektorates Graz bezüglich der überlappenden Bereiche der bestellten verantwortlichen Beauftragten, wobei in der Anzeige ohnedies eine Strafverfolgung des Ing. H präsumiert wurde, konnte der O.ö. Verwaltungssenat in Würdigung diesbezüglichen Vertrauens (dem gegenüber jedoch das gut organisierte Rechtsbüro der S Österreich AG gewisse Zweifel hätte haben müssen) von einem geringeren Grad des Verschuldens ausgehen, als es die erste Instanz getan hat.

Aus diesem Grunde erschien eine Herabsetzung der Strafe auf das im Spruch zitierte Maß geboten. Dementsprechend war auch die Ersatzfreiheitsstrafe herabzusetzen.

8. Der Teilerfolg der Berufung befreite den Rechtsmittelwerber von der Pflicht zur Zahlung von Kostenbeiträgen für das Berufungsverfahren (§ 65 VStG).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. Klempt

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