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VwSen-280707/32/Kl/Pe

Linz, 27.04.2004

 

 

 VwSen-280707/32/Kl/Pe Linz, am 27. April 2004

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Klempt über die Berufung des Ing. O O, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. H K, Mag. W S, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Wels vom 24.10.2003, BZ-Pol-5011-2003, wegen einer Verwaltungsübertretung nach der Bauarbeiterschutzverordnung nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 21.4.2004 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z2 und 51 VStG.

zu II.: § 66 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Wels vom 24.10.2003, BZ-Pol-5011-2003, wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von 1.000 Euro, Ersatzfreiheitsstrafe von 46 Stunden, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 130 Abs.5 Z1 und § 118 Abs.3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz iVm § 108 Abs.1 und 2 sowie § 161 Bauarbeiterschutzverordnung verhängt, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als iSd § 9 Abs.1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der Firma B GmbH (Arbeitgeberin), zu verantworten hat, dass zumindest am 1.6.2003 gegen 14.20 Uhr von drei Arbeitnehmern dieser Firma Schienenbefestigungsarbeiten an bereits verlegten Schwellen auf der Baustelle "Gleisbau Knoten Rohr", 3382 Loosdorf, auf dem Baugleis 2, zwischen Knoten Rohr und Bahnhof Loosdorf, bei Bahnkilometer 76,120, und damit im Gefährdungsbereich von in Betrieb befindlichen Gleisen ohne Einsatz von Sicherungsposten begonnen und durchgeführt wurden. Aufgrund der Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen kam es zu einem folgenschweren Arbeitsunfall durch einen auf Baugleis 2 fahrenden Lastzug.

 

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und in dieser das Straferkenntnis seinem gesamten Inhalt nach angefochten. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde unzutreffend davon ausgeht, dass Bau- und Erhaltungsarbeiten im Bereich von Gleisen von in Betrieb befindlichen Eisenbahnen ausgeführt wurden. Es wurde nochmals darauf hingewiesen, dass das Streckengleis 2 sowie das Gleis 2 im Knoten Rohr zwischen 27.5.2003 und 2.6.2003 vom Bahnbetreiber gesperrt wurde. Es wurde auf die Betra 18022 des Bahnbetreibers hingewiesen. Außerdem wurde das gesperrte Gleis gemäß DVV3 § 96 zum Baugleis erklärt. In dieser Bestimmung heißt es: "Soll ein Streckengleis außer Betrieb genommen werden, wird das Streckengleis mit einer Betra als Baugleis erklärt. In dieser werden die notwendigen Anordnungen getroffen." Das Baugleis ist also ein Gleiskörper, der außer Betrieb genommen worden ist. Überdies heißt es in der Betra 18022, dass zwischen Knoten Rohr und Bahnhof Loosdorf keine Fahrten stattfinden. Es war daher zum Unfallszeitpunkt kein in Betrieb befindliches Gleis vorhanden, zumal es gesperrt, außer Betrieb genommen und zum Baugleis erklärt wurde. § 108 Abs.1 BauV kommt nicht zur Anwendung. Darüber hinaus unterscheidet die BauV zwischen "in Betrieb befindlichen Gleisen" und "gesperrten Gleisen"; dies ergibt sich aus § 108 Abs.6 BauV, der festlegt, dass bei schlechter Sicht, bei der die Sicherung der Arbeitnehmer durch die Sicherheitsposten nicht gewährleistet ist, die Arbeiten nur durchgeführt werden dürfen, wenn die Gleise gesperrt sind oder von den Sichtverhältnissen unabhängige Sicherheitseinrichtungen vorhanden sind. Aus § 108 Abs.6 BauV ergibt sich sohin eindeutig, dass die Vorkehrung des Sperrens von Gleisen vom Gesetzgeber als höherwertige Sicherungsmaßnahme als der Einsatz von Sicherungsposten angesehen wird, da in diesem Fall die Gefahren bereits an der Quelle bekämpft werden. Wenn also - wie hier - das Gleis vom Bahnbetreiber gesperrt wurde, ist die Sicherheit der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer jedenfalls in höherem Maße gewährleistet, als bei einem in Betrieb befindlichen Gleis durch den Einsatz von Sicherungsposten. Darüber hinaus ergibt sich aus § 108 Abs.6 BauV ein Größenschluss, nämlich dass, wenn die Sperrung des Gleises bereits bei schlechten Sichtverhältnissen ausreicht, diese Sicherungsmaßnahme bei normalen Sichtverhältnissen umso mehr genügen muss. Dass trotz Sperre eine Garnitur der ÖBB in das Gleis eingefahren ist, kann dem Beschuldigten verwaltungsstrafrechtlich nicht angelastet werden. Ebenso wenig ein allfälliges Fehlverhalten des Zugführers der Draisine, der nicht nur trotz Sperre in den betreffenden Gleisabschnitt eingefahren ist, sondern auch das Gebot des Fahrens auf Sicht verletzt hat. Auf Punkt 5 der Anlage 1 der Betra 18022 wird hingewiesen. Darüber hinaus hat es der Führer der Draisine offensichtlich unterlassen, das erforderliche akustische Warnzeichen abzugeben. Schließlich verweist der Berufungswerber auf den Akt 6 U 66/03t des Bezirksgerichtes Melk und die darin enthaltenen Aussagen der Auskunftspersonen H H und J H. Es wurde daher die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens beantragt.

 

3. Der Magistrat der Stadt Wels hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt und eine Stellungnahme abgegeben.

Das zuständige Arbeitsinspektorat wurde am Berufungsverfahren beteiligt und es wurde in der Stellungnahme vom 12.12.2003 die Abweisung der Berufung beantragt.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme und Einsichtnahme in die vom Beschuldigten vorgelegten Unterlagen, insbesondere in die Betra 18022 samt Anhang, in die DVV3 sowie in die anlässlich der mündlichen Verhandlung am 21.4.2004 vorgelegten Unterlagen.

Weiters wurde vom Oö. Verwaltungssenat der Akt des Bezirksgerichtes Melk zu 6 U 66/03t angefordert und Einsicht genommen. Insbesondere geht daraus eine gerichtliche Zeugeneinvernahme des J H vom 23.1.2004 hervor. Dieser führte darin aus, dass überhaupt nicht damit gerechnet wurde, dass ein Zug auf dem gesperrten Gleis kommt und es wurde daher auch nicht auf Zugsignale geachtet. Weil auf einem gesperrten Gleis gearbeitet wurde, war auch kein Sicherungsposten notwendig. Es durfte auf diesem Gleis kein Zug fahren bzw. hätten die Arbeiter vorher verständigt werden müssen. Dies war aber nicht der Fall. Weiters ist auch eine gerichtliche Zeugeneinvernahme des H H vom 28.1.2004 vorhanden, aus der ebenfalls hervorgeht, dass die Information bestand, dass die Strecke für den Verkehr zur Gänze gesperrt war und daher auch kein Sicherheitsposten notwendig war, wie dies ansonsten bei Arbeiten auf befahrenen Strecken üblich ist. Der Verschubvorgang hätte aufgrund der durchgeführten Verspannungsarbeiten auf den Gleisen an diesem Tag gar nicht durchgeführt werden dürfen.

Weiters wurde vom Oö. Verwaltungssenat eine öffentliche mündliche Verhandlung für den 21.4.2004 anberaumt und an diesem Tage durchgeführt. An dieser Verhandlung hat der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter sowie ein Vertreter des Arbeitsinspektorates teilgenommen. Weiters wurden die Zeugen AI Ing. P S, Arbeitsinspektorat St. Pölten, und der Polier J H geladen und einvernommen. Der Beschuldigte hat den Bauleiter G H stellig gemacht und es wurde dieser als Zeuge einvernommen.

Der Berufungswerber führte in der mündlichen Verhandlung nochmals aus, dass nach § 108 Abs.1 BauV Voraussetzung für die Einsetzung geeigneter Sicherungsposten ist, dass einerseits im Bereich von Gleisen von in Betrieb befindlichen Eisenbahnen gearbeitet wird und andererseits die Sicherheit der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer nicht auf andere Weise sichergestellt ist. Geht man von einem in Betrieb befindlichen Gleis aus, so ist aber trotzdem die Sicherheit sehr wohl sichergestellt, weil eisenbahnrechtliche Anordnungen und Vorsorgen getroffen wurden. Schon in der Ausschreibung sind Koordinierungsgespräche zur Abwicklung der Baustelle zwischen der HL-AG, der Bau- und Betriebsaufsicht der ÖBB, den beteiligten Fachdiensten, dem Bahnhofsvorstand und den Vertretern der beteiligten Auftragnehmer vorgesehen, in denen Gleissperren schriftlich fixiert werden und durch den Auftragnehmer verbindlich anerkannt werden. Es sind daher die Betra (Betriebs- und Bauanweisungen) und diesbezügliche Anhänge keine internen Anordnungen des Eisenbahnbetreibers sondern mit der Auftragnehmerfirma abgesprochen und von dieser anerkannt und durfte diese auf die Einhaltung dieser Anordnungen vertrauen. Bei diesen Gesprächen ist der Bauleiter Herr H auch anwesend. Auch finden regelmäßig Evaluierungen diesbezüglich statt und wird darauf hingewiesen, dass es sich um gesperrte Gleise handelt. Auf diesen dürfen nur besondere Fahrten und Verschubfahrten durchgeführt werden, für welche besondere Vorschriften für die Abwicklung gelten. Bei dieser Betra-Besprechung, wobei es sich bei diesen Maßnahmen um ein Formular handelt, also die Anordnungen formalisiert sind und für jede Baustelle wiederkehren, werden die Bauarbeiten durchgesprochen. Gleiches gilt für die täglichen Baubesprechungen in der örtlichen Bauaufsicht, bei der der Bauleiter und der Polier anwesend sind. Es ist sowohl aus der Betra als auch aus den Baubesprechungen ersichtlich, dass, wenn Verschubfahrten durchgeführt werden, sich die örtliche Bauaufsicht beim Bauleiter oder Polier Herrn H meldet und erkundigt, ob eine Fahrt durchgeführt werden kann. Dies ist auch notwendig, weil ja bei Bauarbeiten u.U. ein Gleisstück fehlen könnte oder Schweißarbeiten durchgeführt werden. Die örtliche Bauaufsicht erkundigt sich beim Polier und koordiniert die Fahrt zwischen den Arbeitnehmern und dem Eisenbahnbetrieb. Es wird auch auf den von der HL-AG eingesetzten Sicherheitsbeauftragten hingewiesen, der ebenfalls angibt, dass der Zug vor dem Baugleis stehen bleibt und beim Polier oder der örtlichen Bauaufsicht hinterfragt, ob eine Einfahrt auf das Baugleis möglich ist. Der Sicherheitsbeauftragte vermutet, dass dies nicht erfolgt ist. Schließlich verweist der Berufungswerber darauf, dass die drei betroffenen Arbeitnehmer erfahrene Gleisbauarbeiter sind, die schon viele Jahre für die Firma tätig sind und die Gefährlichkeit der Arbeiten kennen und auch regelmäßig Schulungen erfahren. Diese Schulungen werden auch von Mitarbeitern der ÖBB durchgeführt. Die Arbeitnehmer arbeiten seit Jahren auf ähnlichen Baustellen der ÖBB. Darüber hinaus wurde auch noch darauf hingewiesen, dass die Abgabe eines Warnsignals, dh eines Hupsignals, keine richtige Reaktion war, sondern es hätte der Spitzenverschieber sofort einen Bremsvorgang einleiten müssen. Dies ist auch Anordnung der Betra, die ein Fahren auf Sicht anordnet.

Weiters wird auch auf die Sicherheitsfachkraft der ÖBB und ein Gespräch des Beschuldigten mit dieser Sicherheitsfachkraft, Herrn K, hingewiesen, die genau zwischen einem gesperrten Gleis und einem Baugleis unterscheidet, wobei für ein gesperrtes Gleis noch der Fahrdienstleiter zuständig ist, während ein Baugleis die nächsthöhere Sicherheitsstufe darstellt und für das Baugleis die örtliche Bauaufsicht zuständig ist.

Der Zeuge Josef H bestätigte im Wesentlichen die Angaben des Berufungswerbers. Insbesondere wusste er von der DVV3 bzw. der Betra 18022, nämlich dass es sich beim betreffenden Gleis 2 um ein gesperrtes Gleis handelte und dieses Gleis zum Baugleis erklärt wurde. Er war auch durch Schulungen über die Bedeutung unterrichtet und gab es solche Unterweisungen auch konkret für die gegenständliche Baustelle und die gegenständlichen Arbeiten. Danach durfte kein Zug auf diesen Gleisen fahren. Sollte aber ein Zug kommen, also z.B. ein Verschub durchgeführt werden, so ist in den Sicherheitsbestimmungen festgelegt und gibt es eine genau geregelte Vorgangsweise, dass dann die örtliche Bauaufsicht mit dem Polier also mit dem Zeugen Kontakt aufnimmt, sich erkundigt, ob das Gleis überhaupt befahrbar ist, und dann aufgrund dieser Auskunft die Zustimmung dem Lokführer für den Eisenbahnbetrieb gibt. Auch hat dann der jeweilige Zugführer, wenn er vor der Sperre steht, also vor dem Baugleis, sich noch einmal beim Polier rückzuversichern, wenn er in das Gleis einfahren will. Es wird ihm dann genau bekannt gegeben, bei welchem Bahnkilometer gearbeitet wird und wo er stehen zu bleiben hat. Der Polier schloss aus, dass es eine solche Verständigung gegeben hat. Es hat also keine Verständigung gegeben, dass ein Verschub geplant war oder ein Zug einfahren soll. Weder die örtliche Bauaufsicht noch der Kleinwagenführer hat mit dem Polier Kontakt hinsichtlich dieser Zugfahrt aufgenommen. Es war daher für die Arbeitnehmer unvorhersehbar, dass ein Zug kommt. Diese genauen Anordnungen und Vorgangsweisen sind dem Polier und den Arbeitnehmern bekannt. Dies wird ihnen in der Schulung mitgeteilt und auch vor Beginn der Arbeiten und ist diese Belehrung auch von den Arbeitnehmern zu unterschreiben. Der Zeuge J H gibt an, dass er bereits 24 Jahre als Gleisbauer beschäftigt ist und daher in diesem Beruf sehr erfahren ist. Er gibt auch an, dass Sicherheitsposten für das Gleis 2 nicht vorhanden waren und auch nicht benötigt wurden, weil es sich um ein Baugleis handelte und ein herannahender Zug vorangemeldet wird und weil der Zugführer verpflichtet ist, auf Sicht zu fahren. Die diesbezügliche Anordnung ist dem Zeugen bekannt. Er führt auch dazu aus, dass der Zug vor den Arbeitnehmern zum Stillstand kommen muss, dh es muss die Fahrgeschwindigkeit dementsprechend angepasst werden. Der Zeuge führt auch weiters aus, dass grundsätzlich ein Befahren der Strecke technisch möglich war, weil jede zehnte Schwelle bereits befestigt war, allerdings die Schlussbefestigungsarbeiten und der Schlussschweiß noch nicht gesetzt waren. Dies konnte aber der Kleinwagenführer nicht wissen, weil er ja gar nicht um den Zustand der Gleise nachgefragt hat.

Der Zeuge erschien glaubwürdig und seine Aussagen waren schlüssig. Es können seine Aussagen der Entscheidung zugrundegelegt werden.

Auch der zeugenschaftlich einvernommene Bauleiter G H bestätigte in seiner Aussage die Angaben sowohl des Berufungswerbers als auch des Zeugen H. Detailliert führt er auch an, dass die einzelnen Arbeitsabschnitte mit der ÖBB abgesprochen werden und für den einzelnen Abschnitt in einer Betra-Besprechung die Vorkehrungen besprochen werden. In dieser Betra-Besprechung ist auch der Zeuge, also der Bauleiter anwesend, und er wusste daher, dass das Gleis gesperrt wurde und als Baugleis erklärt wurde. Die Abschnitte werden von der ÖBB mit dem Bauleiter besprochen und es werden dann die Vorkehrungen von der ÖBB getroffen. Allerdings haben sich alle an die Anordnungen zu halten. Auch der Bauleiter wusste nichts vom Befahren durch den gegenständlichen Zug. Der Bauleiter gibt an, dass er für die Sicherheit der Arbeitnehmer verantwortlich ist, dass aber die Maßnahmen immer mit der ÖBB und der örtlichen Bauaufsicht abgestimmt werden. Dazu finden eben die Besprechungen am Morgen statt und finden regelmäßige Evaluierungen statt. Der Bauleiter ist seit vielen Jahren im Gleisbau beschäftigt und war vor seiner Tätigkeit in der Privatwirtschaft bei der ÖBB in der örtlichen Bauaufsicht der ÖBB tätig.

Aus der Betra 18022 ist ersichtlich, dass das Streckengleis 2 und das Gleis 2 im Knoten Rohr von 27.5.2003 8.00 Uhr bis 2.6.2003 4.40 Uhr gesperrt ist und zwischen Knoten Rohr und Loosdorf keine Fahrten durchgeführt werden. Das gesperrte Gleis wird gemäß DVV3 § 96 vorübergehend zum Baugleis erklärt. Aus der Anlage 1 zur Betra 18022 ist auch ersichtlich, dass auf dem Baugleis Verschubfahrten durchgeführt werden können, dass aber vor jeder Fahrt in das Baugleis eine Verständigung zu erfolgen hat und eine gesonderte Zustimmung einzuholen ist. Weiters sind die Fahrten im Baugleis auf Sicht vorzunehmen und mit höchstens 20 km/h. Weiters ist aus der DVV3 § 96, ersichtlich, dass, soll ein Streckengleis außer Betrieb genommen werden, das Streckengleis in einer Betra als Baugleis erklärt wird. In dieser Betra werden die notwendigen Anordnungen getroffen. Außerdem müssen bei Fahrten auf dem Baugleis Verschubleiter, Triebfahrzeugführer und Kleinwagenführer mit Betra bzw. einem Auszug beteiligt werden und über die Besonderheiten informiert sein.

5. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Gemäß § 108 Abs.1 Bauarbeiterschutzverordnung - BauV sind Bau- und Erhaltungsarbeiten im Bereich von Gleisen von in Betrieb befindlichen Eisenbahnen unter Bedachtnahme auf die besonderen Gefahren des Eisenbahnbetriebes auszuführen. Werden Arbeiten im Gefährdungsbereich von in Betrieb befindlichen Gleisen durchgeführt und wird die Sicherheit der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer nicht auf andere Weise sichergestellt, sind geeignete Sicherungsposten einzusetzen, soweit nicht Sicherungsposten vom Bahnbetreiber beigestellt werden.

Mit Arbeiten im Gleisbereich darf erst begonnen werden, nachdem ein Aufsichtsorgan des Bahnbetreibers hiezu nachweislich die Bewilligung erteilt hat und die erforderlichen Sicherheitsposten die Sicherheit der Arbeitnehmer übernommen haben (Abs.2).

Vor Beginn der Arbeiten im Gleisbereich von in Betrieb befindlichen Eisenbahnen sind die Arbeitnehmer auf der Baustelle über die Gefahren durch den Bahnbetrieb und deren Abwendung nachweislich zu unterweisen (Abs.3).

 

Gemäß § 161 BauV sind Übertretungen dieser Verordnung nach § 130 Abs.5 Z1 ASchG zu bestrafen.

 

Gemäß § 130 Abs.5 Z1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 Euro bis 7.260 Euro zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

 

Aus der Bestimmung des § 108 BauV ist ersichtlich, dass diese von "in Betrieb befindlichen Eisenbahnen" einerseits und "in Betrieb befindlichen Gleisen" andererseits spricht.

Nach den im Beweisverfahren getroffenen Feststellungen wurde zwar in Koordination der Bauleitung mit der örtlichen Bauaufsicht und dem Eisenbahnbetreiber der gewöhnliche Eisenbahnbetrieb eingestellt und nach DVV3 die Strecke außer Betrieb gesetzt. Weiters wurde mit der genannten Betra das Gleis 2 zum Baugleis erklärt, wobei nach Anlage der Betra dies bedeutet, dass bestimmte Fahrten, nämlich Verschubfahrten durchgeführt werden können. Ist also der gewöhnliche Eisenbahnbetrieb eingestellt, so kann das jeweilige Gleis trotzdem zeitweilig in Betrieb sein. Nach § 108 Abs.1 Satz 2 BauV ist aber bei in Betrieb befindlichen Gleisen nur dann die Pflicht gegeben, geeignete Sicherungsposten einzusetzen, wenn "die Sicherheit der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer nicht auf andere Weise sichergestellt wird". Zur Einrichtung von Sicherungsposten sind daher zwei kumulative Voraussetzungen erforderlich, nämlich einmal Arbeiten im Gefährdungsbereich von in Betrieb befindlichen Gleisen und dass die Sicherheit der Arbeitnehmer nicht auf andere Weise sichergestellt ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde tatsächlich eine Verschubfahrt durchgeführt und war das Gleis - wenn auch sehr eingeschränkt - in Betrieb und waren auf diesem Gleis auch Arbeiten im Gange. Es ist daher iSd zitierten gesetzlichen Bestimmung zu prüfen, ob die Sicherheit der Arbeitnehmer auf andere Weise sichergestellt war. Nur für den Fall, dass dies verneint wird, sind Sicherungsposten einzusetzen, diese aber auch dann nur, wenn nicht Sicherungsposten vom Bahnbetreiber beigestellt werden.

 

Insbesondere die in der mündlichen Verhandlung getroffenen Zeugenaussagen haben aber ausdrücklich und unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass Sicherungsposten nicht erforderlich waren, weil Vorkehrungen auf andere Weise getroffen wurden. So gab es aufgrund von einvernehmlichen Betra-Besprechungen, die für jeden Abschnitt und jede Arbeit durchgeführt werden und an der sowohl der Bauleiter als auch der Polier teilnehmen, konkrete Maßnahmen für die Sicherheit der Arbeitnehmer. Danach dürfen Verschubfahrten und andere Fahrten auf den Gleisen nicht ohne weiteres durchgeführt werden, sondern sind genaue Regeln einzuhalten: Der Lokführer hat zunächst die örtliche Bauaufsicht zu verständigen und sich zu erkundigen, ob eine Fahrt möglich ist. Diese nimmt Kontakt auf mit dem Polier bzw. den Arbeitnehmern und erkundigt sich genau über den Gleiszustand und holt die Zustimmung ein. Daraufhin wird die Zustimmung zu den Verschubfahrten gegeben. Weiters wird vor Einfahrt in das Baugleis, also bei Durchfahren der Sperre, noch einmal Kontakt mit dem Polier aufgenommen, um genaue Angaben über den Standort der Arbeitnehmer zu bekommen und wo der Lokführer seinen Wagen anzuhalten hat. Es ist daher eine Vorwarnung und Anmeldung jeder einzelnen Fahrt auf dem Gleis sowohl bei der örtlichen Bauaufsicht als auch beim Polier vorgesehen. Überraschende Fahrten gibt es daher nach diesen Anordnungen und Vorkehrungen nicht. Diese Maßnahmen sind allen Arbeitnehmern, der Bauleitung, der örtlichen Bauaufsicht und dem Bahnbetreiber bekannt und es gibt diesbezügliche Schulungen und auch entsprechende Evaluierungen. Es konnte daher aufgrund dieses Beweisergebnisses vom Oö. Verwaltungssenat festgestellt werden, dass die Sicherheit der Arbeitnehmer auf andere Weise sichergestellt ist, und es ist daher eine Voraussetzung nach § 108 Abs.1 Satz 2 BauV nicht gegeben, um die Verpflichtung zum Einsatz von geeigneten Sicherungsposten auszulösen. Es war daher im gegenständlichen Fall keine Pflicht des Beschuldigten gegeben, geeignete Sicherungsposten einzusetzen.

 

Ausdrücklich wird aber darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung, dass die Sicherheit nicht auf andere Weise sichergestellt ist, ein objektives Tatbestandsmerkmal darstellt, und im Fall des Nichtvorliegens der Tatbestand eben nicht erfüllt ist. Ein Verschulden ist bei der objektiven Tatseite nicht zu prüfen. Vielmehr ist die Schuld erst dann zu prüfen und nachzuweisen, wenn der objektive Tatbestand bereits erfüllt ist. Dies ist aber im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Ein allfälliges Kontrollsystem und Verschulden des Beschuldigten war daher nicht mehr zu prüfen.

 

5.2. Weiters ist für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit nicht von Belang, dass es sich bei der DVV3 und Betra 18022 um eisenbahnrechtliche Bestimmungen und Anordnungen handelt, zumal der § 108 Abs.1 Satz 2 BauV lediglich davon spricht, dass die Sicherheit "nicht auf andere Weise sichergestellt" ist. Wie diese andere Weise stattfindet, also, ob Anordnung der Bauaufsicht, der Bauleitung oder eben des Eisenbahnbetriebes, geht aus dieser Gesetzesformulierung nicht hervor. Dazu ist aber ausdrücklich anzuführen, dass die genannten Anordnungen im Einvernehmen aller Verantwortlichen getroffen wurden und auch allen Verantwortlichen und den Arbeitnehmern bekannt waren und diese Anordnungen auch ständig evaluiert wurden. Diese Kenntnis der Arbeitnehmer ist auch insofern von Relevanz, als nicht nur einmalig anlässlich der gegenständlichen Tätigkeiten eine Schulung stattgefunden hat, sondern dass es sich bei sämtlichen Arbeitnehmern und beim Bauleiter um langjährig im Gleisbau beschäftigte Personen handelt, welche mit den Bestimmungen bestens vertraut sind und auch ständig Baustellen der ÖBB betreuen. Auch sind diese Anordnungen standardisiert und finden sich bei den Baustellen der ÖBB immer wieder. Selbstverständlich sind aber diese eisenbahnrechtlichen Bestimmungen den Bediensteten der ÖBB, also dem Lokführer bzw. Verschubführer bekannt.

 

5.3. Es wurde daher der Tatbestand des § 108 Abs.1 BauV nicht erfüllt, sodass gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat und daher das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war.

 

6. Weil die Berufung Erfolg hatte, entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge (§ 66 VStG).

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs-gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 
 

Dr. Klempt
 
Beschlagwortung:
Gleisarbeiten, außer Betrieb, andere Vorkehrungen; objektiver Tatbestand

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