Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230474/2/Br

Linz, 27.10.1995

VwSen-230474/2/Br Linz, am 27. Oktober 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn F M, E vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. H u. F. F und Mag. Dr. W. F, alle G, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land, vom 29. September 1995, Zl. Sich96-110-1995, zu Recht:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995 AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 620/1995 VStG.

II. Es entfallen daher sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land hat mit dem Straferkenntnis vom 29. September 1995, Zl.:

Sich96-110-1995, wider den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 15 iVm § 82 Abs.1 Z4 FrG eine Geldstrafe in der Höhe von 3.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit 72 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er sich seit Ablauf seiner Aufenthaltsbewilligung, somit seit 12. April 1994, ohne gültige Aufenthaltsberechtigung, also illegal, im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalte.

1.1. Begründend führte die Erstbehörde im wesentlichen aus, daß der Berufungswerber als bosnischer Staatsangehöriger seit 1992 in Österreich aufhältig sei. Seine letzte Aufenthaltsbewilligung sei bis 11. April 1994 befristet gewesen, zumal er selbst über kein eigenes Einkommen verfüge und er außerdem vom BG S mit Strafverfügung vom 28. Februar 1995 wegen des Vergehens der Urkundenfälschung rechtskräftig verurteilt worden sei. Ferner sei er am 11. Jänner 1994 im Beisein eines Dolmetschers ausdrücklich darüber informiert worden, daß er bis zum 11. April 1994, 24.00 Uhr, das Bundesgebiet zu verlassen gehabt hätte. Er sei jedoch bis zum 29. September 1995 nicht ausgereist.

2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter eingebrachten Berufung. Darin verweist er auf ein Schreiben vom 10. Mai 1994 des damaligen Landeshauptmannes von Oö., woraus sich ergebe, daß gegen den Berufungswerber wohl die Erlassung eines Ausweisungsbescheides beabsichtigt sei, dieser jedoch bis zur Beruhigung der Lage in Bosnien nicht vollstreckt werde. Ferner verweist der Berufungswerber auf die Verordnungen der Bundesregierung, BGBl.Nr.1993/402 idF 389/95, wonach ihm Kraft Größenschlusses bzw. Kraft Analogieschlusses das Aufenthaltsrecht zukomme. Der Berufungswerber verweist ferner auf das Erkenntnis des Oö.

Verwaltungssenates, Zl. 230455/2/Br, vom 3. August 1995, wonach einer Person die Rückkehr in seine Heimat - wo Krieg herrscht - nicht zuzumuten sei. Dies treffe auch auf ihn zu, selbst wenn seit kurzem dort Waffenstillstand herrsche. Das Verhalten des Berufungswerbers könne ihm gemäß § 6 VStG nicht als Schuld vorgeworfen werden. Er sei sich ferner auf Grund der Mitteilung des Landeshauptmannes von Oö. keiner Schuld bewußt, zumal diese dahingehend laute, daß eine Ausweisung nicht vollstreckt würde. Daraus habe er laienhaft ableiten können, daß er weiterhin in Österreich geduldet werde. Somit gehe es nicht an im Wege einer Bestrafung auf ihn Zwang auszuüben.

Abschließend stellt der Berufungswerber den Antrag auf Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

3. Da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied zu entscheiden. Die Berufung richtet sich im Ergebnis nur gegen eine unrichtige rechtliche Beurteilung, ferner wurde auch keine 3.000 S übersteigende Strafe verhängt, sodaß hier von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte (§ 51e Abs.1 u. 2 VStG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme des von der Erstbehörde vorgelegten Verwaltungsaktes, Zl.

Sich96-110-1995. Daraus ergibt sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt.

5. Nachfolgender Sachverhalt gilt als erwiesen:

5.1. Wie alleine aus den Berichterstattungen der Medien als notorisch bekannt ist, woran wohl nicht gezweifelt werden kann, herrschte zumindest bis zum Ende des hier fraglichen Tatzeitraumes in der Heimat des Berufungswerbers Krieg.

Ferner ist genauso evident, daß es bei diesem Krieg zu unmenschlichen Aggressionshandlungen auf sämtlichen Seiten der kriegsführenden Parteien gekommen ist.

Dem Vorbringen des Berufungswerbers kommt somit Recht zu. Es ist ihm ferner Glaube zu schenken, daß von ihm nicht erwartet werden konnte sich in "seine alte Heimat" zu begeben. Zutreffend stützt er sich mit seinem auf die Schuldfrage bezugnehmenden Vorbringen auch auf die Mitteilung des früheren Landeshauptmannes von Oö., wonach der Ausweisungsbescheid nicht vollstreckt würde. Es trifft in diesem Zusammenhang ferner auch zu, daß mit dieser Zusage die gegenständliche Bestrafung auch nicht in Einklang zu bringen wäre.

5.1.1. Dieses Beweisergebnis stützt sich neben dem Vorbringen des Berufungswerbers auch auf die - wie oben bereits erwähnt - notorisch bekannte Tatsachen der kriegerischen Ereignisse im früheren Jugoslawien.

5.2. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat wie folgt erwogen:

5.2.1. Gemäß den vom Berufungswerber zitierten Verordnungen der Bundesregierung, BGBl. Nr. 402/93, 368/94 u. 1038/94, hinsichtlich des Aufenthaltsrechtes von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina wird vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet eingeräumt.

Dieses besteht auch für solche Personen die nach dem 1. Juli 1993 einreisten, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrollstelle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde. Diese jeweils immer wieder das vorläufige Aufenthaltsrecht verlängernden Verordnungen für diese Volksgruppe läßt erkennen, daß Ausweisungen mit dem Ergebnis der Rückführung eines Betroffenen in das Kriegsgebiet zumindest als problematisch bezeichnet werden müßten. Eine solche Sicht würde wohl diese Verordnungen ihres Sinnes entleeren, nämlich den Schutz eines Angehörigen dieser Volksgruppe vor Kriegsereignissen. In diesem Geiste kann daher hier in der rechtswidrigen Nichtbefolgung des Ausweisungsbescheides kein Verschulden erblickt werden.

Daher ist der vom Berufungswerber vertretenen Rechtsansicht durchaus zu folgen gewesen.

5.2.2. Bei objektiver Beurteilung der bekannten politischen Situation im ehemaligen Jugoslawien ist nur unschwer nachzuvollziehen, daß es einem Betroffenen nicht zuzumuten wäre in seine ehemalige Heimat zurückzukehren und dort um sein Leben bangen zu müssen. Jede andere Sicht würde einer Verkennung oder sogar eine Verleugnung der dortigen politischen Zustände bedeuten.

5.3.1. Die Erstbehörde trifft keinerlei Angaben zur Frage der Schuld. Sie führt nur aus, daß dem Berufungswerber das Recht des Aufenthaltes im Bundesgebiet aus bestimmten Gründen nicht mehr verlängert worden sei.

5.3.2. Nach § 6 VStG ist aber eine Tat dann nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist. Auch im Verwaltungsstrafrecht ist nur ein schuldhaftes Verhalten strafbar (VwGH 13.5.1987, 85/18/0067; SCHULDAUSSCHLIESZUNGSGRÜNDE [vgl Leukauf - Steininger 4 StGB RN 6]). Die auf der subjektiven Tatebene gründenen Umstände bewirken, daß die wohl tatbestandsmäßige (rechtswidrige) Verhaltensweise des Berufungswerbers im konkreten Fall im Rahmen eines Strafverfahrens nicht vorwerfbar ist; es ermangelt hier der (strafbegründenden) Schuld. Aus h. Sicht begründet die Befürchtung der Einbeziehung in kriegerische Ereignisse, deren Dimension in der Auswirkung auf Menschen hier nicht näher erörtert zu werden braucht, einen Zustand, welcher eine Nichtbefolgung einer Ausweisung - wobei eine Durchsetzung derselben in diesem Zusammenhang ohnedies unberührt bleibt - nicht zwingend (auch) als Schuld vorzuwerfen ist. Wenngleich die Erreichung eines Staatszieles zusätzlich auch (noch) mit Strafsanktionen zu unterstützen ist, so muß einem Normadressaten das ihm abverlangte Verhalten doch zumindest zuzumuten sein. Im Fall realer Befürchtungen um sein Leben ist dies jedoch sicher nicht der Fall.

5.4. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, daß der von der Erstbehörde erhobene Tatvorwurf nicht sämtliche Tatbestandselemente im Sinne des § 44a VStG erfaßt. In diesem Sinne müßte der Tatvorwurf zumindest auch den Tatort im Hinblick auf die Aufenthaltsadresse im Spruch umschreiben. Dieser Mangel wäre wohl noch innerhalb der offenen Verfolgungsverjährungsfrist im Sinne des § 44a VStG zu berichtigen gewesen, sodaß eine Einstellung nach § 45 Abs.1 Z3 aus diesem Grunde nicht in Betracht gekommen wäre.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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