Linz, 19.08.2009
E r k e n n t n i s
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn X, geb. X, X, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. S, Mag. X u. X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, vom 13. Juli 2009, Zl. VerkR21-504-2009/LL, zu Recht:
Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.
Rechtsgrundlagen:
§ 66 Abs.4 § 68 Abs.1 u. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2009 – AVG.
Entscheidungsgründe:
1. Die Behörde erster Instanz hat nachfolgenden – hier angefochtenen – Bescheid erlassen und damit ihren Mandatsbescheid vom 26.6.2009, zugestellt am 30.6.2009, mit nachfolgendem Ausspruch abgeändert:
2. Dem tritt der Berufungswerber mit der fristgerecht bei der Behörde erster Instanz eingereichten und nachfolgend zitierten Berufung entgegen.
3. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 67a Abs.1 2. Satz AVG). Eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung konnte angesichts der unstrittigen Faktenlage unterbleiben (§ 67d Abs.2 Z1 AVG).
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt und zusätzlich durch Beischaffung eines Auszuges aus dem Führerscheinregister. Darin wird der Entzugsbescheid mit 19.6.2009 als in Rechtskraft erwachsen dargestellt. Die Entzugsdauer findet sich jedoch im Sinne des hier angefochtenen Bescheides vermerkt.
4. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 68 Abs.1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Nach § 68 Abs.2 AVG können von Amts wegen Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde oder vom unabhängigen Verwaltungssenat, die oder der den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.
Abs.3 leg.cit: Andere Bescheide kann in Wahrung des öffentlichen Wohles die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, oder die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde insoweit abändern, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Missständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. In allen Fällen hat die Behörde mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen.
4.1. Im Einparteienverfahren verbietet § 68 Abs.2 AVG die gänzliche Aufhebung oder auch Abänderung eines begünstigenden Verwaltungsaktes zum Nachteil der Partei (VwGH 1.7.98, 98/12/0128 mwN).
So wie die Rechtskraft für die Partei, bewirkt auch der Bescheid an sich bei unveränderter Rechtslage das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache bzw. steht auch vor eingetretener Rechtskraft die Erlassung eines neuen Bescheides entgegen. Ist der Bescheid unanfechtbar und unwiderrufbar geworden, so entfaltet er die Wirkung, dass die mit ihm erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann; diese Rechtswirkung wird Unwiederholbarkeit genannt (VwGH 30.5.2006, 2006/12/0066 mit Hinweis auf VwGH 12.12. 2002, Zl. 2002/07/0016, oder VwGH 30.5.1995, Zl. 93/08/0207).
Da der Inhalt und die Erlassung des Mandatsbescheides vom 26.6.2009 ordnungsgemäß dem § 62 Abs. 2 AVG entsprechend beurkundet wurde, ist dieser Bescheid mit seiner Erlassung in Rechtswirksamkeit getreten. An diesen Bescheid knüpfen sich somit die Rechtswirkungen eines Bescheides, insbesondere auch dessen Unwiderrufbarkeit (vgl. (VwGH 21.2.2002, 2001/07/0124 mit Hinweis auf VwGH vom 18.11.1998, 98/03/0207). Die Behörde erster Instanz hatte daher keine Grundlage diesen Bescheid – selbst wenn er irrtümlich auf unrichtigen Sachverhaltsannahmen gestützt war - abzuändern.
Aus dem Zusammenhalt von § 68 Abs 1 mit den Abs 2-4 AVG ergibt sich daher, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit ("formelle Rechtskraft") auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nichts anderes ausdrücklich normiert ist. Aber bereits zwischen der Erlassung des Bescheids und dem Eintritt der Unanfechtbarkeit ist die erlassende Behörde an den Bescheid gebunden, dh nicht zum Widerruf berechtigt. In diesem Zeitraum ist die Widerrufbarkeit sogar noch stärker beschränkt, weil § 68 Abs 2-4 AVG nach herrschender Auffassung noch nicht anwendbar ist.
Ein Ende der (prinzipiellen) Unwiderrufbarkeit ist nicht festgelegt.
1. Das damit bezeichnete Phänomen wird vielfach mit der Aussage beschrieben, dass mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft auch die materielle Rechtskraft gegeben sei.
2. Die Auffassung, dass die „materielle Rechtskraft" (Unwiderrufbarkeit) aus der formellen folge, ist nicht allgemein zutreffend; der Beginn richtet sich vielmehr nach den Bestimmungen des positiven Rechts und kann früher oder später als die formelle Rechtskraft eintreten; auch kann die Unwiderrufbarkeit - wie die Unanfechtbarkeit – subjektiv different gestaltet sein (zit. aus Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 (2003) [461] mwH).
Ein Verschlechterungsverbot durch Abänderung eines Bescheides – nicht jedoch die Aufhebung - aus diesen keine Rechte, sondern nur Pflichten erwachsen sind, gilt als ausgeschlossen erachtet, wenn dadurch die Rechtstellung einer Partei verschlechtert wird. Die Abänderung wird selbst dann nicht zulässig wenn die Partei mit der Verschlechterung ihrer Rechtsstellung einverstanden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) S1397).
Auch rechtswidrige Bescheide erwachsen in materielle Rechtskraft (VwGH 18.1.1971, 1311/70; 15. 9. 1978, 2300/77; 8. 2. 1994, 93/08/0166), oder anders ausgedrückt, die Gesetzwidrigkeit eines formell rechtskräftigen Bescheides der Verwaltungsbehörde keine Handhabe bietet, ihn aufzuheben oder abzuändern (VwSlg 956 A/1949). Es gehört zum Wesen der aus der formellen Rechtskraft folgenden materiellen Rechtskraft von Bescheiden, dass ein rechtskräftiger Bescheid selbst dann seine volle Rechtswirksamkeit entfaltet, wenn er mit der objektiven Rechtslage in Widerspruch steht (VwGH 18.3.1994, 94/12/0034; 25. 3. 1997, 96/05/0262; 24. 2. 2006, 2005/12/0227). Dies gilt grundsätzlich (vgl § 38 Rz 25) ebenso für Bescheide unzuständiger Behörden (VwGH 9. 4. 1976, 570/76). Wenn auch die Rechtskraftwirkung eines Bescheides die Unzuständigkeit der Behörde zu seiner Erlassung „heilt“ (so VwGH 15. 10. 1980, 2709/79), begründet sie keine Kompetenz zur Erlassung nachfolgender Bescheide in derselben Sache, auch nicht zur Zurückweisung späterer Ansuchen wegen entschiedener Sache. Fehlt eine gesetzliche Anordnung, für die Durchbrechung der Rechtskraft, so im letztzitierten Kommentar, ist mit dem VwGH davon auszugehen, dass die Rechtssicherheit und der Schutz des Vertrauens der Partei auf den Bestand des Verwaltungsaktes vor der Rechtsrichtigkeit rangieren und nicht umgekehrt, was zur Folge hat, dass in solchen Fällen das die österreichische Rechtsordnung beherrschende Prinzip der Rechtskraft behördlicher Entscheidungen (Hinweis auf Rz 4) als Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu beachten ist (Hinweis auf Bachmann, AnwBl 1996, 733).
Die Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 AVG ist nach der stRsp des VwGH dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, welcher dem formell rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat (VwGH 26. 2. 2004, 2004/07/0014; 27.6.2006, 2005/06/0358; 21.2.2007, 2006/06/0085). Bei der Beurteilung der „Identität der Sache“ ist in primär rechtlicher (und nicht etwa in rein technischer oder mathematischer [VwGH 26. 2. 1974, 500/72; 9. 7. 1992, 92/06/0062; 27. 6. 2006, 2005/06/0358]) Betrachtungsweise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist (VwGH 22. 11. 2004; 2001/10/0035; 21. 6. 2007, 2006/10/0093 (die letzten drei Absätze wurden auszugsweise aus Hengstschläger/Leeb, MANZ´sche AVG-Onlineausgabe zitiert).
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Daher liegt Identität der Sache iSd § 68 Abs 1 AVG auch dann vor, wenn die Behörde die Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens (oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung) entschieden hat (VwGH 8. 4. 1992, 88/12/0169; 25.4. 2003, 2000/12/0055; 31. 7. 2006, 2006/05/0158);
5. Die Abänderung des Mandatsbescheides war hier daher rechtlich unzulässig; der angefochtene Bescheid war demnach ersatzlos zu beheben. Ein Abspruch über die ebenfalls beantragte Ausfolgung des Führerscheins kann mit Blick auf die Rechtswirkung der Berufungsentscheidung unterbleiben.
Allenfalls zwischenzeitig neu eingetretene Entzugsgründe dürfen durch einen derartigen Ausspruch von der Berufungsbehörde nicht präjudiziert werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r
Beschlagwortung:
Identität der Sache; Prozesshindernis mangelhaftes Ermittlungsverfahren