Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730550/3/BP/MZ/Wu

Linz, 12.03.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des x, StA der Türkei, vertreten durch Herrn RA x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Gmunden vom 24. November 2011, GZ: Sich07/25528, betreffend eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot von 18 Monaten nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005, zu Recht erkannt:

 

I.                 Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

II.             Es wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Berufungswerber auf Dauer unzulässig ist.

 

III.    Der Berufungsantrag auf Zuerkennung der aufschiebenden   Wirkung der in Rede stehenden Berufung wird als unzulässig       zurückgewiesen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 52 f iVm § 61 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2011/38

§ 66 Abs. 4 iVm § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Gmunden vom 24. November 2011, GZ: Sich07/25528, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 52 Abs. 1 iVm 53 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum erlassen.

 

Zusammengefasst führt die belangte Behörde nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zunächst zum Sachverhalt aus, der Bw sei türkischer Staatsangehöriger und habe erstmals am 24. Februar 1992 einen ordentlichen Wohnsitz in Österreich begründet. Er habe damals ein Einreise-Visa mit Gültigkeit bis zum 14. Februar 1993 besessen. Im Anschluss sei ein(e) "Aufenthaltsberechtigung-Wiedereinreisesichtvermerk" mit einer Gültigkeitsdauer bis 2. November 1993 erteilt worden. Von da an könne von einer Niederlassung des Bw in Österreich gesprochen werden. Nach eigenen Angaben habe der Bw sich von 18. August 2002 bis Anfang August 2004 durchgehend in Ägypten aufgehalten, um dort zu studieren. Die Niederlassung in Österreich sei während dieses Zeitraumes aufgegeben, ein am 10. September 2004 eingebrachter Verlängerungsantrag von der BH Gmunden aber genehmigt worden.

 

Bis zum 5. August 2008 sei der Bw schließlich durchgehend im Besitz von verschiedenen Aufenthaltstiteln gewesen. Anschließend habe er verspätet einen Verlängerungsantrag eingebracht, der von der BH Kirchdorf bewilligt wurde. Zuletzt sei der Bw im Besitz einer "Niederlassungsbewilligung – beschränkt" gewesen, welche jedoch am 19. Juli 2011 abgelaufen sei.

 

Bis zur Einleitung des ggst Verfahrens habe der Bw bewusst und vorsätzlich keinen Verlängerungsantrag bei der BH Gmunden eingebracht. Am 23. August 2011 habe der Bw schließlich durch seine rechtsfreundliche Vertretung postalisch einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" gestellt. Der Antrag sei mit 12. November 2011 in erster Instanz abgewiesen und im entsprechenden Bescheid festgestellt worden, dass es sich aufgrund der vorsätzlich verspäteten Einbringung um keinen Verlängerungsantrag sondern um einen Erstantrag gehandelt habe.

 

Somit ergebe sich die Konsequenz, dass der Bw sich seit 20. Juli 2011 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

 

Am 3. November 2011 sei der Bw bei der BH Gmunden erschienen und habe sich nach Abholung des abweisenden NAG-Bescheides eine Rechtsauskunft eingeholt. Eine niederschriftliche Belehrung habe er dabei ausdrücklich verweigert, weshalb vom Bearbeiter ein Aktenvermerk angefertigt worden sei. Im Zuge dieser Vorsprache sei der Bw umfassend über die Möglichkeiten der Berufung gegen den NAG-Bescheid sowie über die Möglichkeit eines humanitären NAG-Antrages belehrt worden. Der Bw habe dazu mitgeteilt, ohnehin nicht mehr in Österreich leben und das Bundesgebiet verlassen zu wollen. Er habe kein Interesse mehr an der Erteilung eines Aufenthaltstitels und um einen Termin gebeten, bis wann er Österreich verlassen solle. Der Bw sei daraufhin zum einen informiert worden, Österreich jederzeit freiwillig verlassen zu können, und zum anderen in Kenntnis gesetzt worden, dass eine zwangsweise Außerlandesbringung in Ermangelung eines entsprechenden Rechtstitels nicht möglich sei. Auf die bereits eingeleitete Rückkehrentscheidung, welche einen solchen Rechtstitel verschaffen würde, sei hingewiesen worden.

 

Der Bw sei ledig und lebe derzeit als Einzelperson mit einer weiteren Person in einem Haushalt in x. Die Eltern und Geschwister, welche großteils österreichische Staatsbürger seien, würden in Österreich leben. Es bestehe mit diesen jedoch schon länger kein gemeinsamer Haushalt mehr. Zuletzt sei der Bw von 10. Juli 2011 bis zum 12. November 2011 geringfügig beschäftigt gewesen, von 27. August 2011 bis zum 6. Oktober 2011 habe er Notstandshilfe, von 20. Oktober 2011 bis zum 3. November 2011 Krankengeld erhalten. Derzeit sei kein Einkommen mehr feststellbar.

 

Im Allgemeinen müsse festgestellt werden, dass der Bw seit seinem Aufenthalt in Österreich großteils Leistungen des AMS bezogen habe, obwohl er im Besitz eines Befreiungsscheines sei und somit Zugang zum Arbeitsmarkt bestehe.

 

Aufgrund des rechtswidrigen Aufenthalts sei der Bw gemäß § 120 Abs. 1a FPG bestraft worden; das Verfahren befinde sich in der Rechtsmittelfrist.

 

Mit Schreiben vom 4. August 2011, zugestellt durch Hinterlegung, sei der Bw über die beabsichtigte fremdenpolizeiliche Maßnahme – Rückkehrentscheidung / Einreiseverbot mit einer Dauer von 18 Monaten – in Kenntnis gesetzt und Parteiengehör gewahrt worden. Die Sendung sei vom Bw nicht behoben worden, aber durch die Hinterlegung von einer korrekten Zustellung auszugehen. Zudem sei das Schreiben nach telefonischer Anforderung der ehemaligen rechtsfreundlichen Vertretung im NAG-Verfahren übermittelt worden. Eine Stellungnahme des Bw sei jedoch nicht erfolgt.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, dass der Bw durch sein Verhalten dokumentiert habe, kein Interesse an der Einhaltung der Rechts- und Werteordnung des Gastlandes zu haben. Besonders im Hinblick auf die Bestimmungen des Fremdenrechts habe er eine besonders gelassene Einstellung an den Tag gelegt. Gemäß der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei für den österreichischen Staat, besonders in Zeiten eines erhöhten Zuwanderungsdruckes, ein geordnetes Fremdenwesen von eminentem Interesse.

Da sich der Bw seit 20. Juli 2011 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte, habe die Behörde mit einer Rückkehrentscheidung vorzugehen. Andere Bestimmungen seien nicht anzuwenden. Dies auch deshalb, da der Bw gemäß den eigenen Angaben vom 3. November 2011 ohnehin kein Interesse mehr an einem weiteren Aufenthalt in Österreich habe. Der Bw habe das Bundesgebiet bis jetzt jedoch noch nicht freiwillig verlassen und halte sich beharrlich rechtswidrig in Österreich auf. Dieser rechtswidrige Aufenthalt erstrecke sich "mittlerweile auf einen Zeitraum von über vier Monaten !!!!". Ein entsprechendes Strafverfahren sei anhängig bzw das erstinstanzliche Straferkenntnis am 18. November 2011 beim Postamt X hinterlegt worden.

 

Es werde festgestellt, dass bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt die öffentliche Ordnung in hohem Maße gefährde und einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung darstelle. Durch sein Vorgehen habe der Bw den Tatbestand des § 53 Abs. 2 FPG – Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit – erfüllt.

 

Die Bestimmungen des § 64 FPG fänden keine Anwendung, da sich der Bw nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Aufgrund dieser Tatsachen und deren Wertung sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Bw die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde und den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe.

 

Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Bw wiederholt die belangte Behörde vorerst die bereits in Punkt 1.1.1. getroffenen Feststellungen. Ergänzend stellt sie fest, die Niederlassung des Bw in Österreich habe vor ca. 19 Jahren begonnen, jedoch habe der Bw insgesamt etwa 3 Jahre aufgrund Auslandsaufenthalts die Niederlassung teilweise aufgegeben.

 

Strafrechtlich sei der Bw bisher nicht negativ in Erscheinung getreten. Eine Verurteilung wegen des Vergehens der Körperverletzung sei bereits getilgt. Gemäß § 12 Abs. 1 JGG sei damals von einem Strafausspruch abgesehen worden. Ein Verwaltungsstrafverfahren wegen unrechtmäßigen Aufenthalts sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

 

Die belangte Behörde führt weiter aus, der Bw sei erst im Alter von 5 Jahren nach Österreich eingereist und habe die Jahre davor im Ursprungsland verbracht. Die dortige Sprache und Kultur sollte ihm daher geläufig sein. Sollten sich die Bindungen zur Türkei aufgrund des langen Auslandsaufenthalts abgekühlt haben, so habe der Bw in der Türkei wieder die Gelegenheit, diese zu intensivieren. Aufgrund der in Österreich und Ägypten genossenen guten Ausbildung habe der Bw die Chance, sich in der Türkei eine positive Zukunft aufzubauen.

 

Eine gewisse Integration sei dem Bw aufgrund der langen Aufenthaltsdauer in Österreich nicht abzusprechen. Die Kenntnisse der deutschen Sprache seien sehr gut. Die berufliche Integration scheine nicht vollständig gelungen. Obwohl der Bw Zugang zum Arbeitsmarkt hätte, sei er während des Aufenthalts im Bundesgebiet nur sporadisch einer Beschäftigung nachgegangen. Vereinsmitgliedschaften habe er keine angeführt.

 

Durch die Tatsache, dass der Bw gegenüber der BH Gmunden persönlich bekannt gegeben habe, ohnehin kein Interesse mehr an einer Niederlassung in Österreich zu haben, würde die gesetzten Integrationsschritte massiv abgeschwächt. Die Tatsache, dass das Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht mehr gegeben sei, werde auch durch die bewusst nicht durchgeführte rechtzeitige Verlängerungsantragsstellung belegt. Die Rechtsfolgen wären dem Bw dabei völlig bewusst gewesen, da dieser am 19. Juli 2011 darüber in Kenntnis gesetzt worden sei. Weiters habe der Bw der belangten Behörde am 3. November 2011 mitgeteilt, dass auch ein "humanitärer" Antrag für ihn mangels Interesse in Österreich zu verbleiben für ihn nicht in Frage komme.

 

Der Kontakt zu den Familienangehörigen in Österreich könne nach der Ausreise durch den Einsatz von Kommunikationsmitteln wie Telefon, E-Mail, Internetdienste usw aufrecht erhalten werden.

 

Die belangte Behörde gelangt daher zu dem Schluss, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung schwerer wiegen als die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung auf die persönliche bzw familiäre Lebenssituation des Bw. Die Rückkehrentscheidung als gesetzlich vorgesehener Eingriff diene zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, weshalb die privaten Interessen des Bw gegenüber den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen in Österreich in den Hintergrund treten würden.

 

Hinsichtlich der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots finden sich im angefochtenen Bescheid keine Ausführungen.

 

1.2. Gegen diesen – am 25. November 2011 durch Hinterlegung zugestellten – Bescheid erhob der Bw durch seine rechtsfreundliche Vertretung mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2011, zur Post gegeben am gleichen Tage, rechtzeitig Berufung.

 

Einleitend stellt der Bw die Anträge, die Berufungsbehörde möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die gegen ihn erhobene Rückkehrentscheidung und das damit verbundene Einreiseverbot behoben werde; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und der Erstbehörde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen; sowie gegenständlicher Berufung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

 

Begründend führt der Bw auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass es richtig sei, wenn die Behörde davon ausgehe, dass sein Aufenthaltstitel per 19. Juli 2011 abgelaufen sei. Er habe es verabsäumt und vergessen, rechtzeitig einen Verlängerungsantrag zu stellen. Ihm vorsätzliches Tun vorzuwerfen sei unrichtig und werde von der zuständigen Behörde unterstellt.

 

Der Bw führt weiter aus, er habe einen neuerlichen Antrag auf einen Aufenthaltstitel gestellt, welcher jedoch rechtskräftig abgewiesen wurde. Als türkischer Staatsbürger, der sich schon beinahe 20 Jahre in Österreich aufhalte, fast seine gesamte Familie, welche großteils österreichische Staatsbürger seien, in der Nähe der Umgebung des Bezirkes Gmunden vorfinde, habe er diese Entscheidung abgewartet und überlegt, wie er trotzdem noch zu seinem Aufenthaltstitel kommen könne.

 

Unrichtig sei, dass der Bw bei seiner Vorsprache bei der BH Gmunden vom 3. November 2011 ernsthaft bekundet habe, kein Interesse an einem Weiterverbleib in Österreich zu haben. Sollte er einige wenige Bemerkungen in diese Richtung getätigt haben, fußten diese auf die eher ablehnende Haltung des zuständigen Referenten, der ihm gegenüber nicht sehr positiv eingestellt aufgetreten sei. Wie die Behörde zur Erkenntnis komme, dass durch das Vorgehen des Bw der Tatbestand des § 53 Abs. 2 FPG erfüllt sei, könne nicht nachvollzogen werden. Sein Bemühen hinsichtlich seines aufenthaltsrechtlichen Status sei stets gegeben gewesen und könne ihm deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden.

 

Zudem würde eine Rückkehrentscheidung sowie das gegen ihn ausgesprochene Aufenthaltsverbot (gemeint wohl: Einreiseverbot) unzulässig in das Privat- und Familienleben eingreifen.

 

Hiezu führt der Bw aus, aufgrund der langen Aufenthaltsdauer mit den österreichischen Gepflogenheiten sehr eng vertraut zu sein. Er helfe gerne seinen Eltern bei der Betreuung der jüngeren Geschwister und passe auch gerne auf sie auf oder helfe ihnen bei diversen Haus- und Schularbeiten. Dass er mit seiner restlichen Familie nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt lebe, könne ihm nicht zur Last gelegt werden, da es natürlich sei, dass sich Kinder weiterentwickeln und selbstständig werden wollen. Nichtsdestotrotz pflege er einen guten und andauernden Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern. Diesbezüglich lege er eine genaue Aufstellung seiner Kernfamilie der Berufung bei, welche dokumentiere, dass fast alle Familienmitglieder österreichische Staatsbürger seien.

 

Die belangte Behörde habe korrekt angeführt, dass er strafgerichtlich unbescholten sei. Ferner sei richtig, dass er im Alter von 5 Jahren nach Österreich eingereist und nunmehr beinahe seit 20 Jahren in Österreich aufhältig und integriert sei – unterbrochen durch ungefähr 3 Jahre Studienaufenthalt im Ausland. Wenn man sich die Relation der Verweildauer in den jeweiligen Ländern ansehe, müsse man einfach zum Schluss kommen, dass er die österreichische Kultur sein Eigen nennen könne; der Aufenthalt in der Türkei als Säugling und Kleinkind könne nicht zum Ergebnis führen, dass eine Integration in der Türkei so stark wie jene in Österreich sei.

 

Hinsichtlich der Arbeitssituation führt der Bw an, sich sehr wohl um eine entsprechende Ausbildung und Beschäftigungsmöglichkeiten bemüht zu haben. Es stehe außer Zweifel, hier nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein. Dies sei ihm jedoch nicht in dem Maße wie von der belangten Behörde vorzuwerfen, da er sich immer um das Wohlergehen seiner Geschwister bemüht und einen sehr ausgeprägten Familiensinn habe. Eine mögliche Ausweisung (gemeint wohl: Rückkehrentscheidung) aus dem Bundesgebiet von Österreich wäre daher führ ihn sehr negativ. Nunmehr lege er zudem eine Arbeitsplatzzusage des Cafes X in X vor; er werde dem österreichischen Staat daher nicht zur Last fallen.

 

Zu seiner Integration hält der Bw weiters fest, sich aktiv in der islamischen Kulturvereinigung in X einzubringen. Auch habe er sich immer im Fußballsport aktiv gezeigt, in diversen Mannschaften gespielt und seine Mitspieler als Freunde gewinnen können. Auch spiele er in der Gemeinde X Badminton.

 

Es komme klar zum Ausdruck, dass die Bindung zur ehemaligen Heimat Türkei nur mehr in sehr abgeschwächter Form vorliege, und der Lebensmittelpunkt eindeutig in Österreich gelegen sei. Die belangte Behörde hätte daher zur Feststellung kommen müssen, dass eine Rückkehrentscheidung und ein damit verbundenes Einreiseverbot klar gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen würde. Außerdem würde in den nächsten Tagen ein Antrag auf eine Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gestellt, was erneut zu dokumentieren vermöge, dass der Bw sehr wohl einen Verbleib bei seiner Familie und seinen Freunden in Österreich beabsichtige.

 

Es folgen Ausführungen betreffend die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

 

2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 27. Oktober 2011 dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z 1 AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1., 1.1.2. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

Zu Spruchpunkt I. und II.:

 

3.1.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch vom Bw selbst unbestritten, dass er aktuell über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist.

 

Es ist jedoch bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung bzw der Bemessung des Einreiseverbotes auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

3.2.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.2.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

3.3.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.3.2. Zu Recht geht die belangte Behörde aufgrund der nicht bestehenden Wohngemeinschaft mit den übrigen Familienmitgliedern im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass im vorliegenden Fall überwiegend das Privatleben des Bw durch die beabsichtigte Rückkehrentscheidung betroffen ist. Es ist dem Bw aber auch ein Eingriff in sein Familienleben zuzugestehen, da er nachvollziehbar vorbringt, von Alters wegen gewisse Emanzipationsschritte gesetzt zu haben, was sich jedoch auf das intakte Verhältnis zu Eltern und Geschwistern nicht ausgewirkt habe.

 

3.3.3. Zur Aufenthaltsdauer des Bw im Bundesgebiet ist zunächst festzuhalten, dass diese – mit einer gut zweijährigen Studienunterbrechung im Ausland – etwa 20 Jahre beträgt und der Aufenthalt überwiegend als legal anzusehen ist.

 

Betreffend die berufliche Integration ist festzuhalten, dass diese – wie der Bw auch selbst angibt – nicht wirklich gelungen ist. Von voller Selbsterhaltungsfähigkeit kann nach dem bisherigen Vorleben derzeit keinesfalls ausgegangen werden. Dies wird durch die vorgelegte Arbeitsplatzzusage des Cafe X in X zwar relativiert. Ob der Bw die Stelle dann tatsächlich antritt, welches Beschäftigungsausmaß er anstrebt usw ist allerdings unklar.

 

Die soziale Integration des Bw ist wohl gegeben, da er zum Einen über gute Deutschkenntnisse verfügt und zum Anderen auf entsprechende Sozialkontakte verweisen kann.

 

Hinsichtlich der Reintegration in seinem Heimatstaat ist festzuhalten, dass sich mehr oder weniger die gesamte Kernfamilie in Österreich aufhält, der Bw seine Ausbildung in Österreich absolviert hat und hier auch kulturell sozialisiert ist. Wenn er auch nicht als "von klein auf im Inland aufgewachsen" im Sinne des (hier ohnehin nicht anwendbaren) § 64 Abs. 1 Z 2 FPG anzusehen ist, kann ihm trotzdem keine starke Bindung in die Türkei nachgewiesen werden. Hinzu tritt, dass der Fremdenpolizeigesetzgeber in § 64 Abs. 1 Z 1 FPG – der freilich, wie die belangte Behörde zu Recht festhält, im ggst Fall mangels Aufenthaltstitel nicht (mehr) zu Anwendung gelangt – für Fälle wie den Bw die Unzulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme festgelegt hat. Soweit ersichtlich hätte der 1992 nach Österreich gelangte Bw im Jahr 2002 die österreichische Staatsbürgerschaft erlangen können. Wenn zwar die nunmehr fehlende Aufenthaltsberechtigung die Anwendung der Aufenthaltsverfestigungstatbestände nicht möglich macht, so hat die Erfüllung derselben (bzw eines derselben) dennoch dahingehend Indizwirkung, als nicht jeglicher Verstoß gegen die Rechtsordnung das hohe Maß an Integration zu relativieren vermag.

 

Der Bw ist strafgerichtlich unbescholten.

 

3.3.4. Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ab einer Aufenthaltsdauer von etwa zehn Jahren, fast durchgehend erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit sowie weiterer Integrationsschritte das persönliche Interesse eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht erlangt, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme – auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl etwa VwGH 201.1.2011, 2010/22/0158).

 

Die Aufenthaltsdauer des Bw liegt – wie bereits festgestellt – bei etwa 20 Jahren. Hinzu tritt, dass der Bw durch den Erwerb von Sprachkenntnissen, seine Ausbildung in Österreich usw. diverse Integrationsschritte gesetzt hat, welche auch die belangte Behörde zugebilligt hat. Hinsichtlich der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit ist festzuhalten, dass der Bw im Alter von sechs Jahren nach Österreich gelangt ist und über viele Jahre daher von Alters wegen eine Teilnahme am Erwerbsleben nicht zu erwarten war.

 

3.3.5. Vor diesem Hintergrund gelangt der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zu dem Schluss, dass eine Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK bzw des § 61 FPG zugunsten des Bw ausfällt, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

 

3.4. Aufgrund des im vorigen Punkt erlangten Ergebnisses ist gemäß § 61 Abs. 3 FPG auch festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Bw auf Dauer unzulässig ist.

 

3.5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden (Spruchpunkte I. und II.).

 

4. Hinsichtlich der Beantragung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III.) sowie den diesbezüglichen Ausführungen in der Berufungsschrift, warum die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht möglich sei, ist festzuhalten, dass es sich dabei offensichtlich um einen – hier verfehlt eingesetzten – Textbaustein handelt, da von der belangten Behörde die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt wurde. Der Antrag auf Zuerkennung derselben geht daher ins Leere und war spruchgemäß zurückzuweisen.

 

5. Von einer Übersetzung gemäß § 59 Abs. 1 FPG konnte aufgrund der vom Bw geltend gemachten sehr guten Deutschkenntnisse abgesehen werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 22,10 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.

 

 

Bernhard Pree

 

Beschlagwortung:

Rückkehrentscheidung, § 52 FPG

 

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