Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730336/17/Wg/JO

Linz, 10.07.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufung des X, geb. X, vertreten durch Rechtsanwalt X gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Steyr vom 30. März 2011, Zl: 1-1020247/FP/10, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG).

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Bundespolizeidirektion Steyr erließ mit Bescheid vom 30. März 2011, Zl. 1-1020247/FP/10, gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw), gemäß § 60 Abs.1 Z1 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) gemäß § 63 Abs.1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Das Aufenthaltsverbot stützt sich auf das strafrechtliche Urteil des LG Steyr zu AZ: 13 Hv 166/10x-35.

 

Dagegen richtet sich die Berufung vom 12. April 2011.

 

Nach Inkrafttreten wesentlicher Bestandteile des Fremdenrechtsänderungs­gesetzes (FrÄG), BGBl. I Nr. 38/2011, am 1.7.2011, übermittelte die Sicherheits­direktion OÖ. zuständigkeitshalber den Verfahrensakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes OÖ.

 

Der UVS führte am 21. Juni 2012 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

 

Der Vertreter der Erstbehörde beantragte in der mündlichen Verhandlung eingangs die Abweisung der Berufung und die Bestätigung des Aufenthaltsverbotes.

Der rechtsanwaltliche Vertreter erstattete eingangs folgendes Vorbringen:

 

"Die Ehegattin des Bw sowie die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder sind mittlerweile österreichische Staatsbürger. Die Berufung wird vollinhaltlich aufrecht erhalten. Es wird die ersatzlose Behebung des Aufenthaltsverbotes beantragt."

 

Der Vertreter des Berufungswerbers führte abschließend aus:

 

"Wir werden dem Verwaltungssenat binnen 2 Wochen eine schriftliche Darstellung zur Rückzahlung des im Jahr 2003 vorhandenen Kredites übermitteln. Ausdrücklich festzuhalten ist, dass dem Berufungswerber vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen hätte werden können. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist gemessen an der neuen Rechtslage daher gemäß § 64 Abs.1 unzulässig. Dies insbesondere auch im Hinblick darauf, dass der Gattin und den beiden Kindern mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Es wird daher beantragt, der Berufung stattzugeben und das Aufenthaltsverbot ersatzlos zu beheben."

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat stellt folgenden Sachverhalt fest:

 

Der Berufungswerber wurde am X geboren und ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Er reiste im März 1993 gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester in das Bundesgebiet ein. Seither ist der Berufungswerber durchgehend rechtmäßig niedergelassen. Seit dem 11. August 2004 verfügt er über einen Niederlassungsnachweis.

 

Er verfügt in Österreich über eine abgeschlossene Hauptschulausbildung. Weiters absolvierte er hier den polytechnischen Lehrgang. Der Berufungswerber ist seit dem 1. September 1997 – abgesehen von kurzen Unterbrechungen – unselbstständig erwerbstätig. So zunächst als Lehrling, in weiterer Folge auch als Arbeiter.

 

Aus dem Versicherungsdatenauszug des Berufungswerbers vom 14. Mai 2012 geht dazu Folgendes hervor:

 

"von               bis                    Art der Monate /meldende Stelle               Nr. *)

01.09.1997    17.07.2000      Arbeiterlehrling, X                                       01

01.05.1999    11.05.1999      Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung

                                              Bauarbeiter-Urlaubs- u. Abfertigungskasse       02

11.07.2000    30.07.2001      Arbeiter, X                                                   03

20.08.2001    14.12.2001      Arbeiter, X                                                   04

18.12.2001    23.02.2002      Arbeitslosengeldbezug

04.03.2002    17.03.2002      Arbeitslosengeldbezug                                 05

18.03.2002    17.10.2008      Arbeiter

                                              X   06

18.10.2008    02.11.2008      Arbeitslosengeldbezug

01.11.2008    30.11.2008      Vorläufige Schwerarbeit gem. § 1 Abs.1 Z1      07

03.11.2008    12.01.2011      Arbeiter

                                              X   08

01.02.2009    30.06.2009      Vorläufige Schwerarbeit gem. § 1 Abs.1 Z1

01.08.2009    31.12.2009      Vorläufige Schwerarbeit gem. § 1 Abs.1 Z1

01.02.2010    30.11.2010      Vorläufige Schwerarbeit gem. § 1 Abs.1 Z1      07

13.01.2011    27.01.2011      Urlaubsabfindung, Urlaubsenschädigung

                                              X   08"

 

Während des Beschäftigungsverhältnisses bei der X (in der Zeit von 18. März 2002 bis 17. Okotber 2008) erhielt er einen Lohn von ca. 1.500 Euro pro Monat.

 

Am X heiratete der Berufungswerber X, geb. X. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor. Der ältestes Sohn heißt X und wurde am X geboren. Der jüngere Sohn X wurde am X geboren. X wurde mit Bescheid der Oö. Landesregierung vom 18. Juni 2012, Zl. IKD(Stb)-434006/10-2012/Pro, mit Wirkung vom 21. Juni 2012 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Die Verleihung wurde gemäß § 17 StbB auf die beiden Söhne erstreckt. X und die beiden Söhne sind seither nicht freizügigkeitsberechtigte österreichische Staatsbürger.

 

X arbeitet seit 10 Jahren bei der Firma X. Vor der Karenz zu ihren beiden Kindern war sie dort vollzeitbeschäftigt. Zu ihren Einkommensverhältnissen im Jahr 2003 ist festzustellen, dass sie etwa 1.100 Euro netto pro Monat erhielt. Laut Angaben des Berufungswerbers betrug das Familieneinkommen im Jahr 2003 etwa 2.000 Euro netto pro Monat.

 

Im Akt befindet sich der Kaufvertrag vom 23. Dezember 2002, mit dem der Berufungswerber die Liegenschaft X erwarb. Der Berufungswerber lebte dort bis zu seiner Inhaftierung gemeinsam mit seiner Gattin, den beiden Söhnen und seinen Eltern in Familiengemeinschaft.

 

Für den Hauskauf wurde im Jahr 2003 ein Kredit in der Höhe von 140.000 Euro aufgenommen (vgl vorgelegter Kreditvertrag vom 11. Februar 2003). In weiterer Folge wuchsen die Schulden auf 200.000 Euro an, da der Berufungswerber das Haus sanierte. Zu den im Jahr 2003 zu begleichenden Kreditraten ist festzustellen, dass sich diese auf 800 Euro pro Monat beliefen.

Der Berufungswerber, seine Gattin und seine Eltern bezahlen den Kredit gemeinsam ab.

 

X besucht bereits die Vorschule. Er weist eine Entwicklungsverzögerung auf. Es steht noch nicht fest, ob er einen sonderpädagogischen Förderbedarf aufweist. X besucht in Österreich die 1. Klasse der Volksschule.

 

Im Strafregister der Republik Österreich scheint eine Vorstrafe des Bw auf.

 

So hat das Landesgericht Steyr mit Urteil vom 10. Februar 2011, Zl. 13 Hv 166/10x, zu Recht erkannt:

 

"X ist schuldig, er hat nachangeführten Verfügungsberechtigten durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) sowie teils mit Gewalt fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abgenötigt bzw. weggenommen, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, wobei er die Taten unter Verwendung einer Waffe verübte, indem er den Opfern jeweils ein Messer an den Rücken hielt, und zwar

1.         am 02.11.2010 in X der Angestellten der Raiffeisenbank X, Bankstelle X, X Bargeld in  Höhe von insgesamt EUR 7.280,--;

2.         am 22.12.2010 in X der Angestellten der Raiffeisenbank X, Bankstelle X, X Bargeld in Höhe von insgesamt EUR 8.190,--, wobei er X überdies mit Gewalt auf den Boden drückte, wo sie sich hinhocken musste.

 

X hat hiedurch die Verbrechen des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs.1, 143 zweiter Fall StGB begangen und wird hierfür unter Anwendung des § 28 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB zu einer

 

Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 (fünf) Jahren

 

verurteilt.

 

Gemäß § 38 Abs.1 Z1 StGB wird dem Angeklagten die erlittene Verwahrungs- und Untersuchungshaft von 28.12.2010, 09.30 Uhr bis 10.02.2011, 13.55 Uhr auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Gemäß § 369 Abs.1 StPO hat der Angeklagte der Privatbeteiligten Raiffeisenbank X einen Schadenersatzbetrag von 3.280,- Euro und der Privatbeteiligten Raiffeisenbank Region X einen Schadenersatzbetrag von 1.200,- Euro zu bezahlen.

 

Gemäß § 369 Abs.1 StPO hat der Angeklagte die Kosten des Strafverfahrens zu ersetzen."

 

Bei der Strafbemessung war mildernd das umfassende und reumütige Geständnis, die Unbescholtenheit sowie die zwischenzeitig erfolgte teilweise Schadensgutmachung, weiters die aus der attestierten Spielsucht resultierende verminderte Zurechnungsfähigkeit. Erschwerend wirkte sich die Tatwiederholung aus.

 

Vom Verhandlungsleiter in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 zur Spielsucht befragt, gab der Berufungswerber an, dass er Ende 2007 mit Freunden zum ersten Mal ins Casino ging. In weiterer Folge ging er öfter dorthin. So entwickelte sich seine Spielsucht.

 

Als voraussichtlichen Entlassungstermin gab der Berufungswerber in der mündlichen Verhandlung Ende 2013 an.

 

Seine Gattin und die beiden Söhne besuchen ihn in der Haft regelmäßig. Sie möchten die Familiengemeinschaft nach der Entlassung des Berufungswerbers fortsetzen.  

 

 

Zur Beweiswürdigung:

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat hab Beweis erhoben durch die öffentliche mündliche Verhandlung am 21. Juni 2012. Die angeführten Feststellungen stützen sich auf den Verwaltungsakt, das Vorbringen des Berufungswerbers und die Zeugenaussage seiner Gattin. Mit Eingabe vom 5. Juli 2012 übermittelte der Bw den Kreditvertrag vom 11. Februar 2012 sowie eine Bestätigung der Eltern des Bw, wonach sich diese anteilsmäßig an den Betriebskosten und an den Rückzahlungsraten für den Kredit bei der Oberbank beteiligen. Auch diese ergänzende Stellungnahme wurde den Feststellungen zugrunde gelegt.

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat dazu in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

Die Gattin des Berufungswerbers ist seit 21. Juni 2012 nicht freizügigkeitsberechtigte österreichische Staatsbürgerin. Seither ist der Bw "Familienangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 Fremdenpolizeigesetz (FPG). Familienangehörige unterliegen gem. § 65b FPG der Visumpflicht. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3.

 

§ 66 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 38/2011 lautet:

 

EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

 

§ 67 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 38/2011 lautet:

 

 Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Ein Aufenthaltsverbot kann gemäß § 67 Abs 2 FPG für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

 

Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

 

Artikel 27 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrichtlinie) lautet wie folgt:

Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

 

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

 

Artikel 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie lautet:

 

Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

 

Artikel 28 Abs 3 der Freizügigkeitsrichtlinie lautet:

 

Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Die Europäische Kommission äußerte sich in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat vom 2.7.2009, KOM(2009) 313 endgültig, wie folgt:

 

"Die Mitgliedstaaten können die Freizügigkeit von EU-Bürgern aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit einschränken. Kapitel VI der Richtlinie gilt für jede aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit getroffene Maßnahme, die das Recht der unter die Richtlinie fallenden Personen berührt, unter den gleichen Bedingungen wie die Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats in diesen Mitgliedstaat frei einzureisen und sich dort frei

aufzuhalten.

..........

Restriktive Maßnahmen können nur nach einer Einzelfallprüfung getroffen werden, in der festgestellt wird, dass das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats berührt.

..........

EU-Bürger und deren Familienangehörige, die im Aufnahmemitgliedstaat das Recht auf Daueraufenthalt genießen (nach fünf Jahren), dürfen nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgewiesen werden. Gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt seit mehr als zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat haben, und Kinder darf eine Ausweisung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit (d. h. nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung) verfügt werden. Es muss klar zwischen ‚normalen’, ‚schwerwiegenden’ und ‚zwingenden’ Ausweisungsgründen unterschieden werden. Die Mitgliedstaaten sind grundsätzlich nicht verpflichtet, bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer nach Artikel 28 die tatsächlich im Gefängnis verbrachte Zeit anzurechnen, wenn keine Bindung zum Aufnahmemitgliedstaat besteht."

 

Der österreichische Gesetzgeber unterscheidet in den Bestimmungen des § 66 Abs 1 letzter Satz und § 67 Abs 1 FPG zwischen "normalen", "schwerwiegenden" und "zwingenden" Ausweisungsgründen. Auch wenn § 66 Abs 1 letzter Satz FPG dem Wortlaut zufolge nur die Ausweisung betrifft, muss diese Bestimmung auch im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beachtet werden.  Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts handelt es sich sowohl bei einem Aufenthaltsverbot als auch bei einer Ausweisung um "restriktive Maßnahmen", die nur nach Maßgabe der Bestimmungen des Artikel 27 und 28 der Freizügigkeitsrichtlinie zulässig sind.

 

Der für Angehörige von nicht freizügigkeitsberechtigten Österreichern geltende Verweis des § 65b auf die u.a. für begünstigte Drittstaatsangehörige geltenden Regelungen umfasst grundsätzlich nicht den die Ausweisung betreffenden § 66 FPG (vgl. VwGH vom 7.2.2008, 2006/21/0255). Es handelt sich um einen "Leerverweis".

 

Gegen den Bw sind gemäß § 65b FPG "restriktive Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" nur nach Maßgabe des § 67 Abs 1 FPG zulässig.

 

Der Verwaltungsgerichtshof führte in seinem Erkenntnis vom 9.11.2011, Gz: 2011/22/0264, aus, dass – um nicht auflösbare Wertungswidersprüche zu vermeiden – auch im Fall der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 FPG zu prüfen ist, ob dem eine "Aufenthaltsverfestigung" nach § 64 Abs. 1 FPG entgegensteht.

 

Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf gem. § 64 Abs. 1 FPG eine Ausweisung gem. § 62 und ein Aufenthaltsverbot gem. § 63 nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staats­bürgerschaft gem. § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

 

§ 64 Abs. 1 idF. BGBl. I Nr. 38/2011, enthält anders als die Vorgängerbestimmung des § 61 Z. 4 FPG nicht die Einschränkung, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Fall des Vorliegens bestimmter Verurteilungen doch wieder zulässig wäre.

 

§ 10 Abs 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) in der im März 2003 geltenden Fassung (BGBl I Nr. 124/1998) lautet:

Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrundeliegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht und auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder ihn an seiner finanziellen Notlage kein Verschulden trifft und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde.

 

Der Berufungswerber ist seit März 1993 im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen. Das Erfordernis eines 10-jährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes iSd § 10 Abs.1 Z1 Staatsbürgerschaftsgesetz idF BGBl I Nr 124/1998 ist folglich seit März 2003 erfüllt. Die damaligen Einkommensverhältnisse des Berufungswerbers sind – insbesondere unter Berücksichtigung des Nettoeinkommens seiner Ehegattin – als solide zu betrachten. Die beiden waren dabei, sich eine Existenz zu schaffen und erwarben eine Liegenschaft, in der die Familie des Berufungswerbers seither Unterkunft genommen hat. Der Berufungswerber war strafrechtlich unbescholten, es wies objektiv betrachtet nichts darauf hin, dass er mehrere Jahre später der Spielsucht verfallen und strafbare Handlungen begehen würde.

 

Es steht daher fest, dass dem Berufungswerber bereits im Jahr 2003 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen hätte werden können. Somit ist der Aufenthaltsverfestigungstatbestand nach § 64 Abs.1 Z1 FPG gegeben.

 

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalteingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren sind Stempelgebühren für die Beschwerde von 59,80 Euro (Eingabe- und Beilagengebühren) angefallen.

 

 

 

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

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