Linz, 20.07.2012
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, Staatsangehöriger von Nigeria, geboren am X, vertreten durch RA X, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 30. Jänner 2012, GZ Sich96-1104-2011, wegen Übertretungen nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:
I. Aus Anlass der Berufung wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: §§ 24, 44a, 51 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991-VStG iVm. § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG;
Zu II.: §§ 24, 65 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991-VStG iVm. § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG.
Entscheidungsgründe:
1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 30. Jänner 2012, GZ Sich96-1104-2011, wurde über den Berufungswerber (in der Folge: Bw) mit Spruchpunkt 1 eine Geldstrafe in Höhe von 1.000,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 134 Stunden) gemäß "§ 120 Abs. 1a FremdenpolizeiG 2005" verhängt. Mit Spruchpunkt 2 wurde der Bw gemäß "§ 121 Abs. 3 Z. 2 FremdenpolizeiG 2005" ermahnt.
Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid unter der Überschrift "Straferkenntnis" wie folgt aus:
2. Der Bw erhob durch seinen Rechtsvertreter innerhalb offener Frist Berufung.
Im Rechtsmittel führt der Bw wie folgt aus:
3. Mit eine Stellungnahme bezüglich des Berufungsverfahrens beinhaltendem Schreiben vom 13. Februar 2012 übermittelte die belangte Behörde den bezughabenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.
3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erhob Beweis durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt.
3.2. Da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist, hatte gemäß § 51e Abs. 2 Z 1 VStG die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung entfallen.
3.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten, soweit für diese Entscheidung von Relevanz, unstrittigen Sachverhalt aus.
3.4. Da im angefochtenen Bescheid keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 51c VStG).
4. Der Oö. Verwaltungssenat hat hinsichtlich Spruchpunkt 1 erwogen:
4.1. § 120 Abs. 1a des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung, lautet:
Wer als Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 500 Euro bis zu 2 500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 2 500 Euro bis zu 7 500 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist.
§ 31 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung, lautet:
Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;
2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;
3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;
4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;
5. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)
6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder
7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.
4.2. Hinsichtlich Spruchpunkt 1 stellt sich zunächst die Frage, ob der die normative Anordnung des Straferkenntnisses beinhaltende Spruch den Anforderungen des § 44a VStG genügt.
Dem klaren Gesetzeswortlaut nach hat "[d]er Spruch" – und damit nicht etwa eine Präambel, eine Einleitung oder die Begründung – verschiedene Merkmale zu enthalten. So muss er etwa die als erwiesen angenommene Tat bezeichnen. Im Spruch – und nirgendwo sonst – ist also darzustellen, ob und inwieweit sich alle Tatbestandsmerkmale der verletzten Verwaltungsvorschrift im als erwiesen angenommenen Verhalten wiederfinden. Es ist für eine Bezeichnung der Tat in tatsächlicher Hinsicht darüber hinaus erforderlich, das Geschehen, also jenes eine Vorschrift übertretende Verhalten des Beschuldigten – hinreichend genau nach Zeit und Ort – zu umschreiben, das die Behörde für erwiesen hält und einer rechtlichen Würdigung unterzieht.
4.3.1. Im angefochtenen Straferkenntnis werden von der belangten Behörde einleitend in einer Art Präambel Tatzeit und Tatort der in Rede stehenden Übertretung konkretisiert. Erst im Anschluss erfolgt der normative Abspruch, also die behördliche Anordnung dem Bw gegenüber, welche entsprechend mit dem – großgeschriebenen, unterstrichenen und fett gedrucktem – Wort "Spruch" überschrieben ist.
In diesem Spruch erfolgt keine Anführung von Tatzeit und Tatort. Bezüglich der Tatzeit findet sich zumindest eine Anknüpfung an die Präambel, in welcher die belangte Behörde dem Bw "zum angegebenen Zeitpunkt" einen unrechtmäßigen Aufenthalt vorwirft. Hinsichtlich des Tatorts findet sich nicht einmal ein derartiger – im Übrigen auch im Sinne des § 44a VStG nicht hinlänglicher – Verweis.
Schon aus diesem Grund vermag die Formulierung von Spruchpunkt 1 den Anforderungen, die sich aus der zitierten Norm ergeben, nicht Genüge zu tun.
4.3.2. Darüber hinaus lautet der hinsichtlich Tatort und Tatzeitpunkt nicht konkretisierte Tatvorwurf gegenüber dem Bw in Spruchpunkt 1, eine Übertretung des § 120 Abs. 1a FPG verwirklicht, sich also nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten zu haben, weil er sich als Staatsangehöriger Nigerias und damit als pass- und sichtvermerkspflichtiger Fremder in Österreich aufgehalten habe, ohne den kontrollierenden Beamten der PI X EAST-X ein gültiges Reisedokument haben vorweisen zu können.
§ 31 Abs. 1 FPG legt taxativ fest, wann sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Aus einem Umkehrschluss lässt sich damit auch der nicht rechtmäßige Aufenthalt von Fremden ableiten. Der explizit im Spruchpunkt 1 vorangestellte Tatvorwurf, nicht rechtmäßig aufhältig zu sein, weil trotz Verpflichtung zur Mitführung eines Reisedokuments dieses nicht mitgeführt wird, findet in § 31 Abs. 1 FPG keine Deckung und steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit den – isoliert angeführten – Tatbestandselementen des § 31 Abs. 1 FPG und deren Negation. Aufgrund der von § 44a VStG normierten und insbesondere auch vom Verwaltungsgerichtshof aus dieser Norm abgeleiteten äußerst strengen Anforderungen an die Umschreibung der Tat entspricht Spruchpunkt 1 auch unter diesem Aspekt nicht den gesetzlichen Vorgaben.
4.3.3. Eine allfällige Korrektur des Spruchs war dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich schon allein aufgrund des Ablaufs der Verfolgungsverjährungsfrist verwehrt.
5. Der Oö. Verwaltungssenat hat hinsichtlich Spruchpunkt 2 erwogen:
5.1. § 121 Abs. 3 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung, lautet:
Wer sein Reisedokument nicht mit sich führt oder gemäß § 32 Abs. 2 verwahrt begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 50 Euro bis zu 250 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, zu bestrafen.
§ 32 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung, lautet:
Fremde sind verpflichtet, ihr Reisedokument mit sich zu führen oder in einer solchen Entfernung von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort zu verwahren, dass seine Einholung (Abs. 1) ohne unverhältnismäßige Verzögerung erfolgen kann. Für EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige gilt dies nur insoweit, als auch österreichische Staatsbürger verpflichtet sind maßgebliche Dokumente mitzuführen. Die Verzögerung ist noch verhältnismäßig, wenn
1. das Reisedokument innerhalb des Sprengels der Fremdenpolizeibehörde erster Instanz seines Aufenthaltes verwahrt wird oder
2. die Einholung des Reisepasses voraussichtlich nicht länger als eine Stunde in Anspruch nehmen würde.
5.2. Bezüglich der allgemeinen Ausführungen zu den aus § 44a VStG resultierenden Anforderungen kann auf Punkt 4.2. verwiesen werden.
5.3.1. Hinsichtlich der nicht ausreichenden Umschreibung von Tatzeit und Tatort im Spruch selbst kann auf Punkt 4.3.1. verwiesen werden, wenn in Spruchpunkt 2 freilich auch bezüglich des Tatorts an die diesbezüglichen Ausführungen in der Präambel angeknüpft wird.
5.3.2. Der hinsichtlich Tatort und Tatzeitpunkt nicht konkretisierte Tatvorwurf gegenüber dem Bw lautet in Spruchpunkt 2, eine Übertretung des § 121 Abs. 3 Z 2 FPG verwirklicht zu haben, weil er zum Tatzeitpunkt am Tatort kein Reisedokument mit sich geführt habe, obwohl er dazu gemäß § 32 FPG verpflichtet gewesen wäre.
§ 32 Abs. 2 FPG sieht jedoch – wie wiederum auch der Präambel zu entnehmen ist – als gleichwertige Alternative zum mitführen des Reisedokuments vor, dieses in einer solchen Entfernung vom jeweiligen Aufenthaltsort zu verwahren, dass seine Einholung ohne unverhältnismäßige Verzögerung erfolgen kann.
Da die belangte Behörde dem Bw im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses lediglich die Nichtmitführung des Reisedokuments, nicht jedoch auch den zweiten Anwendungsfall des in § 32 Abs. 2 FPG normierten Tatbestandes vorgeworfen hat, wird auch dadurch den Anforderungen des § 44a VStG nicht entsprochen.
5.3.3. Eine allfällige Korrektur des Spruchs war dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich auch hier aufgrund des Ablaufs der Verfolgungsverjährungsfrist verwehrt.
6. Es war daher sowohl bezüglich Spruchpunkt 1 als auch bezüglich Spruchpunkt 2 – ohne auf die Berufungsvorbringen näher einzugehen – der angefochtene Bescheid aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
7. § 65 VStG bestimmt, dass die Kosten des Berufungsverfahrens dem Bw nicht aufzuerlegen sind, wenn der Berufung auch nur teilweise Folge gegeben worden ist.
Es war daher auch auszusprechen, dass der Bw weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zu leisten hat.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.
Mag. Christian Stierschneider
Beschlagwortung:
§ 44a VStG, §§ 120, 121 FPG