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des Landes Oberösterreich
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VwSen-101943/3/Weg/Ri

Linz, 01.09.1994

VwSen-101943/3/Weg/Ri Linz, am 1. September 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wegschaider über den als Berufung zu wertenden Einspruch des F vom 7. März 1994 gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems vom 1. März 1994, VerkR96/5323/1993/Sö/WP, zu Recht erkannt:

Der Berufung wird mit der Maßgabe F o l g e gegeben, daß die mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems vom 21. Oktober 1993 festgesetzte Geldstrafe von 1.000 S auf 600 S und die Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden auf 12 Stunden reduziert wird.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 24, § 19, § 51 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems hat mit Strafverfügung vom 21. Oktober 1993 über den Berufungswerber wegen der Verwaltungsübertretung nach § 52 lit.a Z10a und § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden verhängt, weil dieser am 19. Mai 1993 um 18.48 Uhr den Kombi auf der A9 bei Kilometer 10,600 im Gemeindegebiet Wartberg in Richtung Kirchdorf a.d.Krems mit 128 km/h gelenkt hat, obwohl in diesem Bereich der Autobahn eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h verordnet ist.

Dagegen hat der nunmehrige Berufungswerber Einspruch eingebracht und angeführt, er sei zu seinem Urlaubsort Hinterstoder unterwegs gewesen. Das Quartier sei bereits bestellt gewesen und sollte um 18.00 Uhr bezogen werden. Er sei - wie aus der Tatzeit zu ersehen wäre - schon etwas in Zeitverzug gewesen. Dieser Zeitverzug sei dadurch zustandegekommen, daß auch sein Sohn (3 Jahre) und seine Frau mitgefahren seien. Die längere Anreise von Wien nach Hinterstoder habe einiger nicht eingeplanter Pausen bedurft.

Auf Grund der etwas hektischen Anreise sei auch sein Gesundheitszustand (er leide an einer chronischen Erkrankung) nicht der allerbeste gewesen. Er sei selbst Beamter und sei noch nie wegen eines Verkehrsdeliktes bestraft worden. Die gegenständliche Übertretung könne nur auf eine Fahrlässigkeit, gepaart mit den angeführten Umständen, zurückzuführen sein, weshalb er ersucht, iSd § 21 Abs.1 VStG vorzugehen.

Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems hat diesem Einspruch mit dem nunmehr in Behandlung stehenden Bescheid vom 1. März 1994 keine Folge gegeben und begründend angeführt, daß der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit nicht zuerkannt habe werden können.

Dagegen hat der Beschuldigte einen als Berufung zu wertenden Einspruch eingebracht und auf die Angaben im Ersteinspruch verwiesen. Er führt aus, daß die Behörde zu Unrecht den Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit nicht anerkannt habe. Auf Grund der angeführten Sachlage sei ein Notstand iSd § 6 VStG gegeben gewesen. Sollte sich die Berufungsbehörde dieser Ansicht nicht anschließen, so würde im konkreten Fall eine Ermahnung iSd § 21 Abs.1 VStG ausreichen.

Auf Grund dieses als Berufung zu wertenden Einspruches vom 7.

März 1994 hat die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems eine Berufungsvorentscheidung erlassen und die Geldstrafe auf 600 S bzw. die Ersatzfreiheitsstrafe auf 12 Stunden herabgesetzt. Begründend hiezu führt sie an, daß nach einer nochmaligen Anfrage bei der Bundespolizeidirektion Wien offenkundig geworden sei, daß tatsächlich Unbescholtenheit vorliege. In dieser Berufungsvorentscheidung vom 15. April 1994 wird rechtsmittelbelehrend angeführt, daß dagegen eine Berufung eingebracht werden könne.

Der Beschuldigte bringt mit Schriftsatz vom 25. April 1994 neuerdings einen Einspruch und zwar wiederum gegen den Bescheid vom 1. März 1994 ein. In diesem Einspruch, der als Vorlageantrag zu werten ist - führt er die Notstandsituation näher aus und behauptet nunmehr erstmalig, unter Morbus Crohn zu leiden und eine Stenose des Dickdarmes gehabt zu haben. Diese Erkrankung habe dazu geführt, daß er zu diesem Zeitpunkt unter starken Schmerzen und Durchfällen gelitten habe. Er habe daher versucht, da er bereits mehrere Zwischenstops gehabt habe, das bereits gebuchte Quartier in Hinterstoder zeitgerecht zu erreichen. Die Erkrankung und die am 22. Dezember 1993 durchgeführte Operation könne mittels Attesten bewiesen werden.

2. Zur Aktenlage wird vorweg bemerkt, daß der Einspruch vom 25. April 1994 zugunsten des Beschuldigten als Vorlageantrag zu werten ist, womit die Berufungsvorentscheidung vom 15.

April 1994 ex lege außer Kraft tritt. Zugunsten des Beschuldigten wurde dieser Einspruch vom 25. April 1994 deshalb als Vorlageantrag gewertet, weil die Rechtsmittelbelehrung in der Berufungsvorentscheidung unrichtig war. Das als Vorlageantrag gewertete Schreiben wurde binnen zwei Wochen ab Zustellung der Berufungsvorentscheidung zur Post gegeben und ist somit rechtzeitig. Durch das Außerkrafttreten der Berufungsvorentscheidung ist nunmehr über die Berufung vom 7. März 1994 gegen den Bescheid vom 1. März 1994 abzusprechen.

3. Folgende Sachlage ist zu beurteilen:

War die ausgesprochene Geldstrafe von 1.000 S im Hinblick auf die nunmehr unstrittige Unbescholtenheit des Berufungswerbers, im Hinblick auf den glaubhaft vorgebrachten Zeitdruck und im Hinblick auf die glaubhaft vorgebrachte Darmerkrankung dem § 19 VStG entsprechend verhängt? Ferner: Sind die angeführten Umstände geeignet, eine Notstandsituation iSd § 6 VStG anzuerkennen, bzw. liegen die Voraussetzungen des § 21 VStG vor? 4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

Notstand iSd § 6 VStG liegt nicht vor. Nach dieser Bestimmung wäre eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt ist. Was unter entschuldigendem Notstand zu verstehen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof in vielen Entscheidungen ausgeführt. Demnach kann darunter nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Die einzig mögliche Gefahr, die durch ein zu spätes Ankommen am Urlaubsort entstanden wäre, läge möglicherweise darin, daß das schon vorbestellte Quartier einer anderen Person überlassen wird und somit der Berufungswerber und seine Familie in Hinterstoder ohne Nächtigungsmöglichkeit mit der Folge dagestanden wäre, die Nacht im Freien oder im Auto hätte zubringen müssen. Hinterstoder ist zwar ein beliebtes Urlaubsdomizil und wird von vielen Fremden gerne besucht, eine derartige Überlastung der dortigen Hotellerie ist jedoch lediglich in den Wintermonaten (und hier auch nur während der Zeit der dort veranstalteten Weltcuprennen) anzunehmen. Selbst wenn ein derartiger Ansturm von Gästen auf die zur Verfügung stehenden Nächtigungsmöglichkeiten gegeben gewesen wäre (was nach der allgemeinen Lebenserfahrung auszuschließen ist) so hätte der Berufungswerber auf der Fahrt von Wien nach Hinterstoder, bei der er schon erkennen mußte, daß er zu spät ankommt, eben zum Telefonhörer greifen können, um die von ihm indirekt dargestellte Gefahr abzuwenden.

Die von ihm begangene Geschwindigkeitsüberschreitung war somit nicht das einzige Mittel, um der schweren unmittelbaren Gefahr des Verbringens der Nacht im Freien oder im Auto zu begegnen, zumal kein Herbergswirt in Hinterstoder angesichts eines derartigen Telefonanrufes das schon vorbestellte Zimmer anderweitig vergeben würde. Eine sonstige Gefahr, die einen Notstand begründen könnte, liegt nicht vor, vor allem ist eine allfällige Bezahlung des Quartiers, ohne genächtigt zu haben, weil etwa das Zimmer von jemandem anderen belegt wurde, kein Grund eine Geschwindigkeitsüberschreitung zu begehen.

Es wird im Verhalten des Berufungswerbers auch kein geringfügiges Verschulden gesehen, weil - wie schon oben ausgeführt - der Berufungswerber ohne weiteres die Möglichkeit gehabt hätte, sein verspätetes Ankommen in Hinterstoder zu avisieren. Daß er entgegen dieser telefonischen Ankündigungsmöglichkeit die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten hat, stellt eine bewußte Rechtsverletzung dar und keinesfalls eine Fahrlässigkeit, wie dies der Berufungswerber vermeint.

Da also das Verschulden nicht als geringfügig zu werten war, ist schon aus diesem Grunde von der Rechtswohltat des § 21 VStG nicht Gebrauch zu machen, weil dies ein unbedingt zu erfüllendes Tatbestandselement iSd § 21 Abs.1 VStG darstellt.

Zur Strafhöhe:

Neben dem im Materiengesetz normierten Strafrahmen ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Mildungerungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen.

Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Der Strafrahmen reicht gemäß § 99 Abs.3 StVO 1960 bis 10.000 S.

Das Ausmaß der mit der Verwaltungsübertretung (die im übrigen hinsichtlich des objektiven Tatbildes unbestritten ist) verbundenen Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, ist in Anbetracht der fast 30%igen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht unbedeutend. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß die Verkehrssicherheit umso höher gefährdet wird, desto höher die Geschwindigkeitsüberschreitung ist. Aus diesem Gesichtspunkt hat die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems - im übrigen auch in Übereinstimmung mit der Anonymverfügungsverordnung - den Unrechtsgehalt der Tat auch hinsichtlich der Strafhöhe richtig bemessen, auch wenn die Tat keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen hat.

Hinsichtlich des Verschuldens wird Vorsatz angenommen.

Allerdings hat die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems den bisher ordentlichen Lebenswandel und den Umstand, daß die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Berufungswerbers in auffallendem Widerspruch steht (Milderungsgrund iSd § 34 Z2 StGB) zu Unrecht nicht als gegeben angenommen, sodaß die Geldstrafe und demgemäß auch die Ersatzfreiheitsstrafe auf die spruchgemäße Höhe zu reduzieren war. Die belangte Behörde hat im Zuge des Verfahrens diesem Umstand ohnehin Rechnung getragen und in einer Berufungsvorentscheidung eine (im übrigen identische) Reduktion der Strafe vorgenommen, was dem Berufungswerber jedoch nicht ausreichend erschien.

Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen hat der Berufungswerber keine Ausführungen gemacht, sodaß anzunehmen ist, daß der von der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.Krems vorgenommenen Schätzung (20.000 S Nettoeinkommen, kein Vermögen, Sorgepflicht für 1 Kind) nicht entgegengetreten werden kann. Im übrigen sind bei derartigen Strafen in Anbetracht der Möglichkeit der Ratenzahlung die Einkommensverhältnisse zu vernachlässigen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Wegschaider

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