Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-102326/2/Bi/Fb

Linz, 15.11.1994

VwSen-102326/2/Bi/Fb Linz, am 15. November 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung der Frau Sabina Michaela H, 1190 Wien, vom 21. April 1994 gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. Dezember 1993, Pst 4040-D/93 Fu (zugestellt am 8. April 1994), wegen Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich eingestellt.

II. Verfahrenskostenbeiträge sind nicht zu entrichten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 45 Abs.1 Z2 VStG, §§ 64 Abs.1, 64 Abs.5 und 134 Abs.1 KFG 1967.

zu II.: § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bundespolizeidirektion Wien hat mit dem oben angeführten Straferkenntnis über die Beschuldigte wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 64 Abs.1, 64 Abs.5 und 134 Abs.1 KFG 1967 eine Geldstrafe von 3.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Stunden verhängt, weil sie am 17. Juli 1993 um 17.40 Uhr in 4174 Niederwaldkirchen, Güterweg Lumbach vor dem Haus Nr.

147, den PKW gelenkt habe, ohne im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung zu sein. Gleichzeitig wurde ihr ein Verfahrenskostenbeitrag von 300 S auferlegt.

2. Dagegen hat die Rechtsmittelwerberin fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich, weil im wesentlichen eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht und eine mündliche Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt wurde (§ 51e Abs.2 VStG).

3. Die Rechtsmittelwerberin verweist auf die von ihr vorgelegten Bestätigungen, in denen zweifelsfrei dokumentiert werde, daß sie sich keineswegs durchgehend in Österreich aufgehalten habe. Der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen habe sich zwischen August 1988 und April 1993 in Rußland befunden. Da sie somit die ihr vorgeworfene Verwaltungsübertretung nicht begangen habe, beantrage sie die Behebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verfahrens.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.

Laut Anzeige des Meldungslegers RI H war die Rechtsmittelwerberin am 17. Juli 1993 gegen 17.40 Uhr als Lenkerin des PKW auf dem Güterweg Lumbach vor dem Haus Niederwaldkirchen Nr. 147 in einen Verkehrsunfall verwickelt. Im Rahmen der Unfallaufnahme wurde festgestellt, daß die Rechtsmittelwerberin im Besitz eines russischen Führerscheines der Gruppe B, ausgestellt von der Staatlichen Autoinspektion GAI am 17. April 1993, war.

Da die Rechtsmittelwerberin in 1190 Wien, K 77/4/2, gemeldet war, wurde das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 29a VStG an die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling, abgetreten.

Bereits im Einspruch gegen die Strafverfügung machte die Rechtsmittelwerberin geltend, daß sich der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in der angeführten Zeit in Rußland befunden habe, da sie dort eine Ballettausbildung absolviert habe. Seit 1991 sei sie dort auch als Dolmetscherin tätig gewesen. Die Rechtsmittelwerberin legte dazu mehrere Bestätigungen über ihre Tätigkeit vor.

Daraufhin erging seitens der Erstinstanz das nunmehr angefochtene Straferkennntnis, das im wesentlichen damit begründet wurde, die Rechtsmittelwerberin habe laut Meldebestätigung vom 1. November 1993 seit ihrer Geburt ihren Wohnsitz im Bundesgebiet und sei daher nicht berechtigt, in Österreich Kraftfahrzeuge entsprechend der Ausnahmebestimmung des § 64 Abs.5 KFG 1967 aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung zu lenken.

In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen, daß gemäß § 64 Abs.1 KFG 1967 das Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur aufgrund einer von der Behörde erteilten Lenkerberechtigung für die Gruppe zulässig ist, in die das Kraftfahrzeug fällt.

Gemäß § 64 Abs.5 leg.cit. ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit dem ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet zulässig, wenn seit der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Bundesgebiet nicht mehr als ein Jahr verstrichen ist.

Die Erstinstanz hat zutreffend angeführt, daß die Rechtsmittelwerberin seit der Geburt an der wiener Adresse mit ordentlichem Wohnsitz gemeldet ist. Die Mutter der Rechtsmittelwerberin, Gerfrida H, hat in der Stellungnahme vom 22. September 1994 mitgeteilt, sie habe sich aufgrund der Ausbildung ihrer Tochter am Kirov-Theater in St. Petersburg beim Meldeamt erkundigt und den Rat bekommen, ihre Tochter vorerst nicht in Österreich abzumelden, da es im Fall von politischen Unruhen im Aufenthaltsland leichter wäre, eine österreichische Staatsbürgerin, die an ihrem Heimatort gemeldet sei, zurückzuholen. Dies sei selbstverständlich Grund genug gewesen, keine Abmeldung vorzunehmen, da die politische Lage in der damaligen UdSSR in den Jahren 1988 bis 1993 unsicher war. Während des Aufenthalts in Rußland sei ihre Tochter einige Male kurz in Wien gewesen, und zwar zu den Feiertagen bzw zu wichtigen Familienereignissen. Mittelpunkt ihrer Ausbildung und Arbeit sei jedoch St. Petersburg gewesen.

Aus dem Verfahrensakt ergibt sich anhand verschiedenster Bestätigungen, daß die Rechtsmittelwerberin im Studienjahr 1988 an der Vaganova-Schule in Leningrad ausgebildet wurde und in den Jahren 1989 bis 1992 am klassischen Training für Solisten des Kirov (Marien)-Theaters, Oper und Ballett, Stadt St. Petersburg, teilgenommen hat. Weiters liegt eine Bestätigung dafür vor, daß die Rechtsmittelwerberin in der Zeit von 1. Jänner 1991 bis zum 30. April 1993 als Dolmetscherin bei der Edition Kult-Inform-Press angestellt war.

Der unabhängige Verwaltungssenat vertritt die Auffassung, daß die Rechtsmittelwerberin zumindest sei 1988 bis Ende April 1993 schon aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit und Ausbildung gezwungen war, in Rußland zu wohnen, wobei aus der Übersetzung des ausländischen nationalen Führerscheins auch eine Adresse in St. Petersburg als "früherer Wohnsitz im Ausland" hervorgeht.

Die Rechtsmittelwerberin hat bereits im Jahr 1991 einen russischen Probeführerschein und am 17. April 1993, also kurz vor dem Ende ihrer beruflichen Tätigkeit in St.

Petersburg, eine permanente Fahrerlaubnis erworben.

Der in Rede stehende Vorfall ereignete sich am 17. Juli 1993, also ca 3 Monate nach ihrer Rückkehr nach Österreich.

Zu prüfen ist nun, ob die Rechtsmittelwerberin im Rahmen ihres Rußlandaufenthalts den vor 1988 zweifellos bestanden habenden ordentlichen Wohnsitz in Österreich aufgegeben und bei ihrer Rückkehr im April 1993 neu begründet hat, oder ob der ordentliche Wohnsitz in Österreich trotz des Rußlandaufenthaltes nicht aufgegeben wurde, sodaß auch im April 1993 nicht von einer Neubegründung des ordentlichen Wohnsitzes gesprochen werden kann.

Der Begriff "ordentlicher Wohnsitz" im Kraftfahrgesetz entspricht der Definition des ordentlichen Wohnsitzes im § 66 Abs.1 JN oder im § 5 StbG 1985 (vgl VwGH vom 11. Mai 1982, 82/11/0038). Danach ist der ordentliche Wohnsitz einer Person an dem Ort begründet, an welchem sich die Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen. Der ordentliche Wohnsitz ist daher an dem Ort begründet, den die betreffende Person zum Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung zu gestalten die Absicht hatte. Das bedeutet allerdings nicht, daß die Absicht dahin gehen muß, an dem gewählten Ort für immer zu bleiben. Es genügt durchaus, daß der Ort nur bis auf weiteres zu diesem Mittelpunkt frei gewählt worden ist (vgl.

VfSlg. 1393, 1394 und 2935).

Für den unabhängigen Verwaltungssenat steht außer Zweifel, daß in den Jahren 1988 bis 30. April 1993 der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Rechtsmittelwerberin in beruflicher, wirschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht in St. Petersburg lag, auch, wenn sie nicht die Absicht hatte, für immer dort zu bleiben und auch wenn sie Feiertage oder wichtige Familienereignisse bei ihren Eltern in Österreich verbracht hat. Die angegebene Adresse Krottenbachstraße 77/4/2 in 1190 Wien ist offensichtlich auch der Wohnsitz ihrer Eltern, sodaß auch nicht von einem von der Rechtsmittelwerberin gegründeten eigenen Haushalt auszugehen ist.

Das Argument, die Rechtsmittelwerberin sei immer in Wien gemeldet gewesen, weshalb eine Aufgabe des ordentlichen Wohnsitzes nie geschehen sei, ist entgegenzusetzen, daß allein der Umstand, daß die Rechtsmittelwerberin sich in Wien nicht abgemeldet hat oder von ihrer Mutter abgemeldet wurde, wohl nicht die alleinige Grundlage für die Annahme der Erstinstanz bilden kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 19. Februar 1988, 87/11/0238, ausgesprochen, daß die Meldung nach dem Meldegesetz für die Beurteilung der Frage nach dem ordentlichen Wohnsitz nicht ausschlaggebend ist. Im übrigen sind die von der Rechtsmittelwerberin bzw ihrer Mutter vorgebrachten Argumente für die Nichtabmeldung in Österreich durchaus nachvollziehbar.

Auf dieser Grundlage gelangt der unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, daß die Rechtsmittelwerberin nach dem 30. April 1993, nämlich dem Ende ihrer Tätigkeit als Dolmetscherin und ihrer Rückkehr nach Österreich, den ordentlichen Wohnsitz in Österreich neu begründet hat. Aus diesem Grund war das Lenken des PKW am 17. Juli 1993 aufgrund der russischen Lenkerberechtigung zulässig, zumal sich dieser Vorfall innerhalb der Jahresfrist seit der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes ereignet hat.

Die Rechtsmittelwerberin hat daher die ihr zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

zu II.:

Der Ausspruch über den Entfall des Verfahrenskostenersatzes ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Beilagen Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Bissenberger

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum